Bio? Logisch!

Zweinutzungshühner: Wie groß wird die Bio-Nische sein?

Seit Jahren sind sich Anbauverbände und Bio-Branche in weiten Teilen einig: Sie möchten sich in der Bio-Geflügelhaltung von einseitig auf Hochleistung gezüchteten Tieren verabschieden. Die Zukunft soll Zweinutzungsrassen gehören, die wieder eine ausgeglichene Balance zwischen Eierlegeleistung und Fleischansatz aufweisen, so dass auch männliche Tiere einen wirtschaftlichen Wert besitzen. Die unrentable und ökologisch äußerst fragwürdige Aufzucht der Bruderhähne der Lege-Rassen soll nur ein Zwischenschritt sein. So recht kommt das Vorhaben allerdings nicht voran. Inga Günther, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Ökologischen Tierzucht (ÖTZ), und Wertschöpfungskettenmanager Joachim Jeske, erklären, woran es in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten besonders hapert.

Joachim Jeske und Inga Günter auf der Biofach 2023
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Im vergangenen Jahr sind die privaten Einkaufsmengen von Bio-Geflügel um 8,8 Prozent und von Bio-Eiern sogar um 11,5 Prozent gesunken, wie Diana Schaack von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft auf der Bilanzpressekonferenz der diesjährigen Biofach mitteilte. Wie hat sich der Rückgang auf die Ökologische Tierzucht ausgewirkt?

Inga Günther: Der eigene Kükenverkauf ist 2022 erstmals zurückgegangen. Jährlich vermarkten wir etwa 160.000 Küken, wobei wir durchaus das Potenzial haben 270.000 liefern zu können. Wir gehen bei Nachfrage, wie auch bei Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe, die unsere Tiere einsetzen, in diesem Jahr von einer Stagnation aus. Die kleinen und häufig direkt vermarkteten Betriebe bleiben uns sicher erhalten. Für die großen ist es schwer, die Preise zu erhalten, welche für eine gewinnbringende Haltung der Tiere notwendig wäre

Was bedeutet das in finanzieller Hinsicht?

Inga Günther: Pro verkauftem Bio-Ei erhalten wir seit 2019 von einigen Akteuren in der Naturkostbranche für unsere Züchtungsarbeit einen Cent. Im besten Jahr 2021 haben wir dadurch 280.000 Euro eingenommen, für 2022 haben wir aufgrund des Absatzeinbruchs bei Bio-Eiern etwa 30 Prozent weniger. Die Partner zahlen Abschläge auf den jeweils prognostizierten Absatz. Bereits im vergangenen Sommer haben wir festgestellt, dringend aktiv werden zu müssen. Schließlich stand im Raum, nicht nur weniger einzunehmen, sondern darüber hinaus zu viel gezahlte Abschläge erstatten zu müssen. Nahezu alle Partner haben uns diese als Spende überlassen, im Gegenzug sind wir auf 0,8 Cent pro verkauftem Ei runtergegangen. Daraufhin haben wiederum einige Unternehmen darauf bestanden, weiterhin den vollen Cent abzuführen. Dass unsere Arbeit so wertgeschätzt wird, macht uns sehr glücklich. Mit dieser Aussicht haben wir nun Planungssicherheit – auch wenn wir ringen, wie wir mit dem kleineren Budget umgehen. Wir werden das Beste aus der schwierigen Situation machen.

beenhere

Gemeinsam „über bio“ ermöglichen

Dieser Artikel sowie alle Inhalte von „über bio“ sind für Sie kostenfrei.
Hochwertiger Journalismus kostet neben Zeit für Recherche auch Geld. Ich freue mich über jede Unterstützerin und jeden Unterstützer, die/der das Magazin via Banküberweisung, Paypal oder jederzeit kündbares Abo bei Steady ermöglicht. Seien Sie auch mit dabei.

Wie wirken sich die geringeren finanziellen Mittel konkret aus?

Inga Günther: Unsere Selektionsarbeit in der Zucht läuft uneingeschränkt weiter. Den Tierbestand werden wir in diesem Jahr allerdings von bisher bis zu 3.000 Zuchttieren um ein Drittel reduzieren. Aus züchterischer Perspektive ist es durchaus gesund, zwischendurch stärker zu selektieren. Zudem optimieren wir den Zuchtablauf und verlegen unsere Nachzucht in den Sommer, so dass wir im Frühjahr konstanter Bruteier liefern und die Hennen über den Winter mausern können.

Sind auch Vorhaben unter die Räder gekommen?

Inga Günther: Eigentlich wollten wir in diesem Jahr unterstützt durch eine Marketing-Agentur eine große Informationskampagne für das Zweinutzungshuhn starten. Aus dem großen Relaunch wurde ein kleiner. Unser ÖTZ-Siegel ist überarbeitet und bildet nicht mehr Henne und Hahn sondern die Buchstaben „ÖTZ“ ab – schließlich haben wir unseren Arbeitsbereich auf Rinder ausgeweitet und mussten auch einigen Anforderungen des Markenrechts nachkommen.

Der Markt kann die kostspielige Tierzucht demnach nicht finanzieren?

Inga Günther: Das würde ich grundsätzlich nicht so sehen. Dennoch waren unsere Gesellschafter Bioland und Demeter sowie engagierte Stiftungen schon immer ein wichtiges Backup – auch um unkompliziert Projektförderungen zu erhalten. Ganz vorne dabei sind hier die Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Software AG Stiftung, Mahle Stiftung und die Rentenbank zu nennen.

Zudem fördert uns das Bundeslandwirtschaftsministerium bis 2027 mit jährlich 300.000 Euro. In der Vergangenheit haben wir etwas hochnäsig davon gesprochen, aufgrund des hohen Verwaltungsaufwands so früh wie möglich keine staatlichen Mittel mehr beantragen zu wollen. Heute halten neben unseren langjährigen Partnern des Bio-Fachhandels unter anderem sie uns über Wasser.

Die gemeinnützige Ökologische Tierzucht wurde 2015 von Bioland und Demeter gegründet. Inwieweit unterstützen die beiden Anbauverbände aktiv?

Inga Günther: Beide greifen uns mit Dienstleistungen unter die Arme: Demeter im Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit und Bioland unter anderem bei Buchhaltung und Controlling der Projekte. Das ist ein sehr hilfreicher und konstanter Grundstock.

In den letzten Jahren konnte man denken, die Bio-Branche nimmt so richtig Fahrt in Richtung Zweinutzungshühner und -hähne auf und die unwirtschaftliche und ökologisch fragwürdige Aufzucht der Bruderhähne der Lege-Rassen sei nur ein recht kurzer Zwischenschritt. So richtig viel ist aber nicht passiert.

Inga Günther: Es war von vornherein klar, dass wir nicht von heute auf morgen die komplette Bio-Geflügelhaltung auf Zweinutzungsrassen umstellen, auch wenn die Tiere dafür zur Verfügung stehen würden. Über 60 Jahre wurde das System der Hochleistung etabliert. Den landwirtschaftlichen Betrieben wurden dabei systembedingte Probleme unter anderem über das Töten der männlichen Küken direkt nach dem Schlupf abgenommen. Keiner musste sich wie heute Gedanken machen, was mit dem Bruderhahn geschieht. Wir müssen das System nun Stück für Stück von ganz unten verändern, um dem Zweinutzungshuhn den Weg zu bereiten. Von Landwirten und Vermarktern kann man nicht erwarten, dass sie augenblicklich nur noch Produkte von Zweinutzungsrassen anbieten – denn dafür braucht es auch Kundschaft, die bereit ist höhere Preise für Eier und Fleisch zu zahlen.

Mit der Aufzucht der Bruderhähne ist eine Wertvernichtungskette entstanden.

Joachim Jeske

Joachim Jeske: Henne und Hahn gehören zusammen, das wurde in den letzten Jahrzehnten vollkommen verlernt. Mit der Aufzucht der Bruderhähne ist eine Wertvernichtungskette entstanden. Das Tier kann nichts für seine Genetik, die nicht darauf ausgelegt ist, Fleisch anzusetzen. So braucht es viel Futter und liefert am Ende wenig und teures Fleisch. Einige Erzeugerbetriebe sind froh, wenn die Bruderhähne am Ende der Mast kostenfrei abgeholt werden und subventionieren die Aufzucht komplett über den Erlös der Eier. Wir hoffen alle, dass deren Aufzucht wirklich nur eine Übergangsphase ist.

Was macht es neben fehlenden Verarbeitern und Vermarktern schwer, Wertschöpfungsketten für das Fleisch vom Zweinutzungshahn aufzubauen?

Joachim Jeske: Vor allem das mangelnde Verständnis, dass das Tier nicht nur aus Brust und Keulen besteht. Auch hier müssen wir lernen, sozusagen from nose to tail zu denken. Stichwort: verarbeitete Wurstprodukte.

Inga Günther: (redet immer energischer) Die ökologische Landwirtschaft und damit die gesamte Bio-Branche muss sich von den industriellen Fleischrassen verabschieden. Bevor nicht jeder Zweinutzungshahn vermarktet ist, sollte kein einziges Masthähnchen aus Hochleistungszucht aufgestallt werden. Das Bio-Masthähnchen wird immer schneller Fleisch ansetzen und am Ende dicker sein – der Zweinutzungshahn kann da nicht konkurrieren und soll es auch gar nicht müssen. Daher gilt es, die Richtlinien der Anbauverbände entsprechend anzupassen, bevor man den Lebensmittelhändlern fehlende Unterstützung vorwirft.

Zweinutzungshühner im Stall beim Mustergeflügelhof Leonhard Häde
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Hochpreisige Bio-Produkte, worunter besonders das Fleisch vom Zweinutzungshahn fällt, lassen sich aufgrund der angespannten Wirtschaftslage mitunter nur schwer absetzen. Wo lässt es sich aktuell dennoch gut vermarkten?

Joachim Jeske: Dort, wo sich Erzeuger und Verbraucher treffen: im Direktvertrieb. Sobald eine oder zwei Handelsstufen dazu kommen, wird es schwierig – besonders Kosten für die Logistik und die preislichen Aufschläge verteuern die Produkte noch mehr. Das Schulen von Verkaufspersonal im Lebensmitteleinzelhandel ist eine riesige Herausforderung. Schließlich muss die Mitarbeiterschaft das komplexe Thema selbst verstehen und dann der Kundschaft erklären können. Am Ende muss letztere zudem entsprechend kaufkräftig sein.

Inga Günther: Wobei hier der Ruf nach wahren Preisen zu betonen ist, die auch Kosten für Umweltschäden inkludieren – wenn beispielsweise für den Futtermittelanbau Regenwald weichen muss. Dessen Abholzen ist nicht eingepreist und besonders auf einseitige Hochleistung gezüchtete Tiere benötigen entsprechendes Futter, um ihre Leistungen überhaupt erbringen zu können. Einen Porsche kann ich schließlich auch nicht mit Sonnenblumenöl betanken. Eier und Fleisch von Zweinutzungsrassen sind nicht zu teuer, vielmehr befinden wir uns aufgrund von Preisen, die nicht die ökologische Wahrheit abbilden, in einem äußerst verzerrten Wettbewerb.

In der Direktvermarktung kommt man aber auch nicht wirklich auf Mengen und Zweinutzungsrassen bleiben dann in einer sehr kleinen Nische.

Joachim Jeske: Vielleicht ist es die falsche Frage, wie man aus der Nische heraus kommt, sondern wie groß sie sein wird.

Inga Günther: Mein persönliches Ziel ist, dass alle Bio-Landwirte und -Landwirtinnen Zweinutzungstiere halten, und es damit ökologischer Standard ist. Man kann allen Beteiligten der Wertschöpfungskette nur zurufen: Geht weiter mutig voran, denn das ist der authentischste Weg.

Wie schon angesprochen, liefern Zweinutzungsrassen weniger Eier und Fleisch als die weitläufig in der Bio-Branche eingesetzten Hochleistungstiere. Würden alle Bio-Betriebe umstellen, müssten sie folglich mehr Tiere halten, um die gleichen Mengen liefern zu können.

Inga Günther: Nein. Da wir allgemein zu viele Eier und zu viel Fleisch konsumieren, passen Zweinutzungsrassen hervorragend zur ökologisch notwendigen gesellschaftlichen Entwicklung weniger tierische Produkte zu verzehren.

0 Kommentare zu “Zweinutzungshühner: Wie groß wird die Bio-Nische sein?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert