Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat sich Bio-Futter extrem verteuert, teils sind Bio-Eiweißfuttermittel knapp und entsprechend wertvoll. Seit 1. Januar 2022 ist die Aufzucht der Bruderhähne der Hochleistungs-Legerassen bei allen Anbauverbänden mit Ausnahme von Biopark Pflicht, auch auf vielen nach EU-Bio zertifizierten Betrieben wachsen sie auf. Mag es ethisch richtig sein, wirtschaftlich und ökologisch ist die Praxis seit Kriegsbeginn noch fragwürdiger geworden: Die Hähne benötigen vergleichsweise zu viel Futter und liefern am Ende zu wenig Fleisch. Daher sollen sich in der ökologischen Landwirtschaft Zweinutzungsrassen mit einer ausgewogenen Eier- und Mastleistung so schnell wie möglich etablieren. Allerdings stockt das Vorhaben, da sich das Fleisch vom Zweinutzungshahn derzeit nur schwer vermarkten lässt. Woran das hapert weiß Wertschöpfungsketten-Managerin Anja Ettner vom Anbauverband Biokreis.

Bilder: Tobias Köhler/Biokreis
Anbauverbände und Bio-Branche sind sich weitgehend einig, dass die Bruderhahn-Aufzucht der Hochleistungs-Legerassen nur ein Zwischenschritt sein soll und den Zweinutzungsrassen die Zukunft gehört. Deren Eier sind im Lebensmitteleinzelhandel und im Naturkostfachhandel durchaus zu finden, jedoch kaum frisches Fleisch oder Fertigprodukte vom Zweinutzungshahn. Was sind die größten Herausforderungen diese in den Handel zu bringen?
Vor allem hapert es daran, Schlachtstätten für den Zweinutzungshahn zu begeistern. Bei ihm ist es beispielsweise deutlich aufwendiger das Fleisch vom Knochen zu lösen. Das Tier ist kleiner als ein Bio-Hochleistungs-Masthähnchen, so dass das Zerlegen mehr und vor allem feinmotorische Arbeit macht, um am Ende die gleiche Fleischmenge zu erhalten.
Am Bruderhahn der Hochleistungs-Legerassen ist noch weniger dran und der Aufwand ist dementsprechend am höchsten. Daher haften Bruderhahn und Zweinutzungshahn in Teilen der Fleischbranche ein schlechtes Image an, was es zu lösen gilt. Zwar werden landwirtschaftliche Betriebe die Bruderhähne los, bekommen dafür aber so gut wie nichts von den Schlachtunternehmen und Verarbeitern bezahlt. Das Aufziehen der Hähne ist bei den Bio-Anbauverbänden mit Ausnahme von Biopark verpflichtend, aber die Tiere selbst sind nach wie vor wirtschaftlich nichts wert. Ein höherer Eierpreis subventioniert die Aufzucht, aber das kann kein dauerhafter Weg sein.
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Wie lassen sich Schlachtstätten gewinnen?
Meist sind es eher kleine Bio-Betriebe, die Zweinutzungsrassen halten und entsprechend wenige Tiere fallen zum jeweiligen Schlachttermin an. Erzeugergemeinschaften zu gründen ist daher sinnvoll, um große Schlachtlinien nutzen zu können. Allerdings müssen dann auch die Absatzwege geklärt sein, das ist immer noch nicht überall der Fall.
Derzeit beträgt der geschätzte Anteil der Zweinutzungsrassen in der Bio-Geflügelhaltung lediglich zwei Prozent. Wenn der wesentlich steigen soll, wird doch die Direktvermarktung alleine nie die Mengen an Fleisch absetzen können. Folglich muss der Weg in den Lebensmitteleinzelhandel, Naturkostfachhandel und auch Metzgereien gefunden werden. Angenommen, eine geeignete Schlachtstätte ist vorhanden – wie kann das gelingen?
So lange es auch in der ökologischen Landwirtschaft Hochleistungs-Masthähnchen gibt, wird es nicht funktionieren einfach einen Broiler vom Zweinutzungshahn in die Frischetheke zu legen. Für ein halb so großes Hähnchen den gleichen Preis zu bezahlen ist einfach nicht attraktiv. Da greifen höchstens ein paar Idealisten zu, egal wie intensiv und verständlich man die Hintergründe erklärt. Eine noch magere Figur macht der Bruderhahn der Hochleistungs-Legerassen und durch seinen geringen Fettanteil wird er als Brathähnchen schnell trocken.
Vielversprechender sind Produktbereiche, in denen die Kundschaft Preisaufschläge besser toleriert. Auf der einen Seite ist das Convenience – aber nicht die hundertste Sorte Frikassee, bei der man dann auch noch für 250 Gramm acht Euro oder mehr zahlen soll – auf der anderen das To-go-Geschäft – Wraps und Bowls sind derzeit beliebt – und natürlich Mittagstische. Gerade in der Mittagspause wird tendenziell weniger auf den Preis geachtet, sondern eher das gekauft, worauf man Lust hat.
Es existiert eine Fülle an Bio-Siegeln, noch mehr Logos und Initiativen; da kann man schon mal den Überblick verlieren. Muss die Kundschaft das Thema rund um einseitige Tierzucht auf Höchstleistungen und den Zweinutzungsrassen als Ausweg überhaupt verstehen, damit sie zugreift?
Der direkt vermarktende Bio-Hof, der ein Großteil des Futters selbst anbaut, kann auf dem denkbar kürzesten Weg Geschichten und Hintergründe glaubhaft näher bringen. Auch in kleineren Bio-Läden und Metzgereien ist der persönliche Kontakt enger und die Kundschaft erwartet und nutzt die Beratung. Im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel und im Bio-Supermarkt sieht das schon anders aus. Der Einkauf soll hier möglichst unkompliziert und schnell erledigt sein. Je mehr Verkaufspersonal fluktuiert und je weiter weg man vom Erzeuger ist, umso schwieriger wird es generell komplexe Themen zu kommunizieren.
Vielleicht ist das beim Fleisch vom Zweinutzungshahn auch nicht in der gesamten Breite und bis ins kleinste Detail nötig, oder man muss die Hintergründe gar nicht erst erwähnen. Wenn die Produkte schmecken und in den Augen der Kundschaft der Preis passt, könnte es mehr oder weniger ein Selbstläufer werden. Eventuell bin ich in diesem Punkt zu optimistisch. Jedenfalls ist weder im Handel noch bei der Kundschaft bisher die Erkenntnis angelangt, dass es ohne Fleisch auch keine Eier gibt. Für jede Henne wird bei den Mitgliedsbetrieben der Anbauverbände ein Hahn aufgezogen – unter EU-Bio ist das keine Pflicht, aber auch hier wachsen mittlerweile häufig die männlichen Tiere auf. Dieses Grundverständnis gilt es zu etablieren.
Sie bohren also diesbezüglich noch dicke Bretter.
Es gibt mittlerweile in der Bio-Branche und bei den Anbauverbänden mehrere Initiativen, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigen. Wir müssen beginnen Erfahrungen, Ideen und Wissen zu teilen, um einen gemeinsamen Weg zu finden. Ansonsten verbrauchen wir zu viel Zeit und Energie, und fangen bei einzelnen Punkten immer wieder von vorne an.

Seit August 2021 ist Anja Ettner als Wertschöpfungsketten-Managerin Ost im Anbauverband Biokreis für Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zuständig. Zu ihren Aufgaben gehört es Erzeuger, Verarbeiter und Handel zu vernetzen und neue Absatzstrukturen zu erschließen. Darüber hinaus ist sie in der mitinitiierten Biokreis-Arbeitsgruppe Bruderhahn und Zweinutzungshuhn aktiv.
Ich kaufe gerne BIO regional egal wo ich gerade bin, man muss die Bauern und Erzeuger unterstützen…Großmärkte braucht kein Mensch auf Dauer… viel Geld für schlechte Qualität und man bekommt nur Magenfüller anstatt echte Lebensmittel. Auch beim Fleisch nicht anders.