Bio? Logisch!

Von grünen Spinnern zum größten Anbauverband – Bioland wird 50

Diesen Sonntag wird der Anbauverband Bioland 50 Jahre alt. In einer gestrigen Pressekonferenz zog Bioland-Präsident Jan Plagge Bilanz und gab Ausblicke auf die nahe Zukunft. Positiv hob er die nicht ganz unumstrittene Kooperation mit dem Discounter Lidl hervor, die Bioland weiteres Wachstum bescherte. In Sachen ökologischer Tierzucht gäbe es aber noch dicke Bretter zu bohren.

Die anfänglichen Impulse brachten Pionierinnen und Pioniere schon in den 50er und 60er Jahren mit ihren regelmäßigen Diskussionen in der Bauernschule von Hans und Maria Müller im schweizerischen Möschberg. Bäuerinnen und Bauern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz trieb die Frage um, wie ökologische Landwirtschaft fernab von Chemie gelingen kann. Später gründeten am 25. April 1971 im baden-württembergischen Honau zwölf Männer und Frauen „bio-gemüse e.V.“, dem Vorläufer von Bioland; heute mit über 8.500 Betrieben der größte ökologische Anbauverband in Deutschland und Südtirol.

Über die „Spinner“ von damals lacht heute keiner mehr. „Anfangs redeten die anderen Landwirte nur schlecht über uns und haben sich über die Disteln auf unserem Acker lustig gemacht“, sagte Birgitta Teschemacher vom Hof Berg. Gemeinsam mit ihren Mann Albert hatte sie 1979 den ersten Bioland-Hof in Schleswig-Holstein ins Leben gerufen. Keine fünf Jahre hatte die damalige Dorfgemeinschaft den Zugezogenen gegeben. „Heute sind wir total anerkannt.“ Zum Hof gehören 70 Kühe – die ihre Hörner behalten dürfen – und eine eigene Käserei.

Doch es hat etliche Jahre gedauert, bis die Zahl der Bioland-Betriebe wesentlich wuchs. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und die BSE-Krise Anfang der 2000er mündeten in gesellschaftlichen Diskurse in Richtung Naturschutz. Davon konnte die ökologische Landwirtschaft profitieren. Doch erst in den vergangenen fünf Jahren wurde die Schwelle von 300 neuen Bioland-Betrieben pro Jahr nachhaltig durchbrochen. Höhepunkt war 2016 mit über 800 neuen Mitgliedern. Seitdem fällt der Zuwachs leicht ab. Um kein Überangebot zu erzeugen werden nur so viele Betriebe auf bio umgestellt, wie der Markt aufnehmen kann. Das Umstellen eines Betriebs ist kostenaufwendig und dauert zwei Jahre, erst dann kann er seine Produkte zu einem höheren Preis verkaufen. Pandemiebedingt wuchs in Deutschland der Markt für Bio-Lebensmittel so kräftig wie noch nie und legte um satte 22 Prozent zu. Etwa 15 Milliarden Euro gaben die Bundesbürger aus.

Baustelle Zweinutzungshuhn und Tierwohl-Kennzeichen

Plagge machte deutlich, sich nicht auf dem bereits Erreichten ausruhen zu wollen. Dafür gäbe es in der ökologischen Landwirtschaft noch zu viele dicke Bretter zu bohren, wie beispielsweise in der Tierzucht. Hier haben die Bio-Branche und die Anbauverbände die letzten Jahrzehnte nahezu komplett verschlafen. So hat die einseitige Zucht auf möglichst hohen Ertrag zu vielfältigen Problemen geführt. Die männlichen Küken von auf Eierlege-Leistung getrimmte Hybridhühner eignen sich nicht für die Mast. Daher wurden sie bislang größtenteils direkt nach dem Schlüpfen eingeschläfert, doch das Kükentöten soll in Deutschland Anfang nächsten Jahres zur Vergangenheit gehören. „Wir möchten ein für alle Betriebe geeignetes Zweinutzungshuhn züchten“, machte Plagge das Endziel deutlich. Sein Verband hatte dazu 2015 mit Demeter die gemeinnützige Ökologische Tierzucht gegründet, die in den Händen von Landwirtinnen und Landwirten liegt. Bewusst soll sich die Zucht am Gemeinwohl orientieren und nicht alleine an wirtschaftliche Maßstäbe. „Das ganze Thema Zucht muss in unsere Hände – auch beim Pflanzenbau.“

Kein gutes Haar ließ er am geplanten staatlichen Tierwohl-Kennzeichen. „Den obersten Tierwohl-Standard, den man ausloben möchte, entspricht noch nicht einmal den Bio-Kriterien. Damit werden die mittlerweile 30.000 Bio-Betriebe in Deutschland nicht mitgenommen – das ist doch absurd.“ Damit schlug er in die gleiche Kerbe, wie Expertinnen und Experten bei einer Diskussion auf der diesjährigen Biofach.

Lidl lohnt sich für Bioland

Zur Halbzeit der auf fünf Jahre vereinbarten Kooperation zwischen Bioland und dem Discounter Lidl zog Plagge positive Bilanz. Das momentane Wachstum fußt auch auf der Tatsache, neue Käuferschichten anzusprechen. Doch kann Bio zum Discountpreis funktionieren? Erzeuger und Händler haben durchaus unterschiedliche Interessen, Konflikte gibt es immer. Diese könne man aber bei Lidl offen ansprechen und faire Preise für Wertschöpfungsketten fordern. „Wir sind anstrengend“, sagte Plagge. Der größte Anbauverband verhandelt selbstbewusst.

Durch die Kooperation mit Lidl sei Bioland bekannter geworden, wovon alle profitiert hätten. Trotz Bioland-Produkte zu Discountpreisen sei weiterhin die Direktvermarktung für viele Bauernhöfe lohnend und es fänden auch vermehrt Kunden den Weg in den Naturkostfachhandel oder greifen in Supermärkten zu Bio-Lebensmitteln. „Die Flut hebt alle Boote.“ Die Zahlen geben Plagge recht.

Bereits vor der Kooperation waren Bioland-Milch und Milchprodukte schon bei Discountern wie Lidl zu finden – allerdings trugen sie nicht das entsprechende Warenzeichen. „Die hohe Qualität offen kommunizieren zu können, ist viel besser“, meinte René Kohler, zuständig für die Käserei auf dem Hof Berg. Der Bioland-Betrieb bietet seine Waren regelmäßig auf Wochenmärkten an. „Mitunter sind Lidl-Filialen, die Bioland-Milch führen, und Supermärkte, die Produkte von unserem Hof im Sortiment haben, in direkter Nähe. Unsere Kunden sehen kein Problem bei den verschiedenen Vermarktungswegen.“

Für die nächsten Monate kündigte Plagge weitere Initiativen für faire und auskömmliche Erzeugerpreise an, besonders bei Molkereien.

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