Bio? Logisch!

Tierwohl hat System – aber welches?

Wo kommt das Fleisch her? Unter welchen Bedingungen wurde das Tier gehalten? Womit wurde es gefüttert? Bei Bio wollen es Kundinnen und Kunden oft genau wissen – schließlich sind Bio-Fleisch und -Wurst vergleichsweise teuer. Auch im konventionellen Lebensmittelhandel sind Produkte aus individuellen Regionalprogrammen und mit diversen Tierwohl-Siegeln erhältlich. Schafft dies Transparenz oder verwirrt die Vielzahl an unterschiedlichen Kennzeichnungen? Darüber und mehr wurde auf der diesjährigen Biofach diskutiert.

„Wir sprechen uns für ein Tierwohl-Label aus, bei dem Bio als Premium-Produktion hervorgeht, wie es beispielsweise bei der Kennzeichnung von Eiern der Fall ist. Den Konsumenten muss eine klare Entscheidung anhand der Informationen auf dem Produkt möglich sein“, sagte Martin Bär, Geschäftsführer des Anbauverbands Naturland Baden-Württemberg. Gerade beim geplanten Tierwohlkennzeichen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sei dies nicht klar der Fall.

Den Durchblick im Supermarkt zu behalten wird immer herausfordernder. Nahezu jede Handelskette hat mittlerweile eigene Qualitätsfleisch- und regionale Programme in bio oder konventionell mit entsprechenden Logos. Daneben existieren weitere Siegel, wie beispielsweise „Tierschutz-kontrolliert“ von der Privatstiftung Vier Pfoten International. „Die Kunden werden von Siegeln überflutet“, sagte Frank Schmitt, Vertriebskoordinator Service + Gastro Rewe West. „Das ganze Thema der Labels ist für Verbraucher schon sehr undurchsichtig und man hat manchmal das Gefühl, dass es ein Bio-Label ersetzt“, merkte Steffen Ueltzhöfer, Inhaber von sechs Edeka-Märkten in Heilbronn und Umgebung und dem Biomarkt „Biorübe“, an.

Über konventionell zu bio?

Einerseits können konventionelle Programme eine Brücke zu Bio sein, wie das Projekt „Strohwohl“ von Rewe, welches Schmitt in der Diskussion hervorhob und worüber das Magazin Lebensmittelpraxis bereits berichtet hatte. Tiere werden nicht mehr auf Spaltenböden, sondern auf Stroh gehalten und haben vergleichsweise mehr Platz. Die entsprechend ausgelobten Produkte ermöglichen einen höheren Verkaufspreis, denn letztendlich muss der Mehraufwand der Landwirte und Landwirtinnen auch entlohnt werden. Auf der anderen Seite verliert die ökologische Landwirtschaft einige Alleinstellungsmerkmale, am Ende entscheidet es „nur“ noch das Bio-Futter.

Die verschiedenen Ansätze Tierwohl zu bemessen hielt Bär für problematisch. „Am Schluss wissen weder Kunden, noch Fachleute, was gemeint ist – das ist fatal. Es muss deutlicher und einfacher sein.“ Indirekt spielte er damit auf die Siegel der Anbauverbände wie Bioland, Naturland, Biokreis und Demeter an, denn deren Richtlinien gehen weit über die des EU-Bio-Siegels hinaus. Eine zusätzliche Tierwohl-Auslobung sei damit überflüssig. „Die Zusammenarbeit mit den Verbänden ist sehr wichtig, denn deren Siegel schaffen bei den Kunden Vertrauen“, bekräftigte Ueltzhöfer. Edeka Südwest baut bei den Bio-Produkten der Eigenmarke „Unsere Heimat – echt & gut“ weitgehend auf Verbandsware. Obst und Gemüse stammt ausschließlich von nach Bioland, Naturland oder Demeter zertifizierten Betrieben, bis Ende dieses Jahres soll dies bei allen Lebensmitteln der Eigenmarke der Fall sein – darunter Eier, Milchprodukte und Wurstwaren. Das teilte Edeka Südwest auf Anfrage mit.

In der Diskussion erinnerte Bär, dass es bei der ökologischen Landwirtschaft um einen ganzheitlichen systemischen Ansatz und nicht „nur“ um die Fragen der Tierhaltung gehe. Übersetzt bedeutet dies unter anderem, mit geeigneten Maßnahmen Humus auf dem Acker aufzubauen, Artenvielfalt zu erhalten, Stoffkreisläufe zu schließen und Beiträge zum Klimaschutz zu leisten.

Transparenz statt Siegelflut

Bio müsse ein Gesicht bekommen, plädierte Landwirt Anton Dapont vom Hausberghof aus dem bayerischen Egglham. Dazu sollten Höfe offen für Besucher sein. Doch nicht jeder Kunde möchte vor dem Kauf seiner Bio-Salami extra einen Bauernhof besichtigen. Daher gelte es auch die Mitarbeitenden in den Märkten zu schulen, damit sie entsprechend beraten können. Der persönliche Kontakt sei wichtig, aber in Zeiten der Corona-Pandemie mitunter schwierig. Im Supermarkt kommt es oft gar nicht zum Gespräch.

„Größtenteils wickeln wir den Bio-Verkauf über die Selbstbedienung ab“, sagte Schmitt. Doch hier entstünde ein weiteres Problem, denn die Kunden greifen hauptsächlich zu den Edelteilen. „Ein Hähnchen besteht aber nicht nur aus Brustfilet. Auch die anderen Teile muss ich entsprechend verwerten und vermarkten.“ Dem stimmte Ueltzhöfer zu. Bei allem Tierwohl müsse man sich klar sein, dass am Ende ein Tier getötet wird. Um dies wertzuschätzen, müsse man es auch komplett verwerten.

Ende 2020 startete Rewe in Testmärkten das Projekt „Kaufe ein Bio-Rind“. Kunden erhielten wahlweise vier oder sechs Kilo Rindfleisch vom Steak über Gulasch bis Braten nebst Rezeptvorlagen. Landwirt Dapont bietet bei seinen Schweinen und Rindern „Tierleasing“ an: Kundinnen und Kunden werden quasi zu Paten, kommen für die Futterkosten auf und bestimmen wann geschlachtet wird. „Es ist wichtig aufzuzeigen, dass hinter dem Produkt Fleisch immer ein Tier steckt.“ Zudem hielt Dapont ein Plädoyer für alte Nutztierrassen. Auf seinem Hof sind unter anderem Turopolje und Berkshire Schweine, Aubrac Rinder und Sulmtaler Hühner zu finden. Gerade die einseitige Tierzucht sei problematisch. Kühe sollen möglichst viel Milch geben, Hühner viele Eier legen – wobei sich diese Hochleistungsrassen bedingt oder gar nicht zur Mast eignen. Damit sind männliche Nachkommen – und eine Kuh muss jedes Jahr einem Kalb das Leben schenken, um Milch zu geben – von Geburt an für die Landwirtschaft fast schon wertlos. Ein Problem, welches auch Bio-Höfe betrifft.

Auch bei Bio Baustellen

Die Tierhaltung ließe sich in der ökologischen Landwirtschaft noch weiter verbessern, das Ende der Fahnenstange sei noch lange nicht erreicht, machte Bär klar. „Rückblickend war der Öko-Anbau oft Vorreiter, wie den Verboten des Schnabelkürzens beim Geflügel oder des Abschneidens der Schwänze bei Schweinen.“

Auch die Aufzucht der Bruderhähne der Hochleistungs-Eier-Rassen begann vor Jahren im Bio-Umfeld und ist mit dem baldigen Verbot des Kükentötens in Deutschland hoch aktuell. Ziel der Anbauverbände ist das Zweinutzungshuhn, wie bei einer anderen Diskussion auf der diesjährigen Biofach bekräftigt wurde. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg: Die Bio-Branche hat in Sachen Tierzucht Jahrzehnte verschlafen und ist gerade bei der Eierproduktion weitgehend von Hybrid-Hochleistungshühnern abhängig. „Der Anteil von Zweinutzungstieren an der gesamten Bio-Hühnerhaltung liegt nur bei circa ein bis zwei Prozent“, schreibt Hella Hansen im Fachmagazin BioTOPP.

„Das Tier hat heute einen höheren Wert“, freute sich Bär über den breiten gesellschaftlichen Diskurs in Sachen Tierwohl, den es in der Deutlichkeit noch vor wenigen Jahrzehnten nicht gab. In den 1970er und 80er-Jahren lag der Fokus selbst in der ökologischen Landwirtschaft auf dem Pflanzenbau. „Tiere gehörten seit jeher im Sinne eines Kreislaufgedankens dazu, aber das Augenmerk lag nicht die Art, wie sie gehalten wurden.“ Man sei davon ausgegangen, dass die Umstände automatisch in Ordnung sind. Auch die EU-Bioverordnung erhielt erst Ende der 90er Richtlinien für das Erzeugen tierischer Lebensmittel.

Den aktuellen Diskurs gelte es best möglich zu nutzen, um die Kundschaft in den Märkten gezielt anzusprechen. Für eine umweltverträgliche Landwirtschaft sei es jedoch wichtig, den Fleischkonsum insgesamt zu verringern – darin waren sich die Diskutierenden einig.

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