Meinung

Mal eben nebenbei Huhn und Hahn austauschen

Kommentar

In Deutschland ist eine Revolution im Gange. Jahrzehntelange einseitige Tierzucht hatte der Landwirtschaft Legehennen beschert, die unter industriellen Bedingungen bis zu 320 Eier im Jahr produzieren. Doch deren männliche Tiere taugen nicht für die Mast und sind daher unter strengen wirtschaftlichen Gesichtspunkten von Geburt an so gut wie wertlos. Deshalb wurden in Deutschland jährlich etwa 45 Millionen Küken direkt nach dem Schlupf getötet. Ab nächstem Jahr ist das verboten. In der ökologischen Landwirtschaft gilt es, alle Bruderhähne aufzuziehen – pro Henne ein Hahn. Zudem besinnt man sich dort wieder auf Altbewährtes, welches allerdings wieder neu geschaffen werden muss: das Zweinutzungshuhn. Für alle Akteure ist das eine enorme Kraftanstrengung. Mal eben gilt es im laufenden Betrieb ein komplettes System umzubauen. Wie gut, dass die Bio-Branche faule Kompromisse ausgeschlagen hat und sich damit selbst enorm unter Druck setzt.

Hybride im Vordergrund, Zweinutzungshuhn der Rasse Vorwerk im Hintergrund.
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Ja, schlafen denn alle in der Bio-Branche? Seit vielen Jahrzehnten sind auch in der ökologischen Landwirtschaft weitgehend Lege-Hybride, die besonders viele Eier produzieren, und schnell wachsende Mast-Hybride im Einsatz – obwohl deswegen vielerorts regelmäßig konventionelle Eiweiß-Zusätze dem Futter beigemischt werden mussten. Ohne die können die hoch gezüchteten Tiere ihre Spitzenleitung nämlich gar nicht erbringen. Damit ist ab nächstem Jahr Schluss, die EU-Bio-Verordnung erlaubt dann nur noch reines Bio-Futter. Die Leistungen der Tiere werden dann sinken, im schlimmsten Fall sind sie mangelernährt. Für jede Fachfrau und jeden Fachmann war seit langem ersichtlich, dass die einseitig gezüchteten Tiere nicht zu Bio passen, zumal sich die ökologische Landwirtschaft von den wenigen Zuchtunternehmen abhängig gemacht hat, die den globalen Markt beherrschen.

Und auch für Bio-Bauern und Bio-Bäuerinnen wurden in den letzten Jahrzehnten etliche Hunderttausende männliche Küken der Lege-Hybride direkt nach dem Schlupf getötet. Erst am 13. Juni 2019 stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass diese Praxis nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist. Somit war sie im Grunde seit gut 50 Jahren zwar toleriert, aber illegal. Und Bio mittendrin.

Endlich ist die Zeit reif

Das bevorstehende Aus des Kükentötens direkt nach dem Schlupf setzte in der Bio-Branche enorme Innovationskräfte frei. War die Aufzucht der Bruderhähne der Lege-Hybride zuvor eine Nische, ist sie bei allen Bio-Anbauverbänden mit Ausnahme von Biopark nun verpflichtend. Auch die Geschlechtsbestimmung im Ei – wächst ein männlicher Embryo heran, wird er in der Brüterei aussortiert und anschließend samt Ei geschreddert – haben Bio-Branche und Bio-Anbauverbände eine klare Absage erteilt.

Die Zeit ist reif, mit allen Problemen in der Bio-Geflügelhaltung aufzuräumen. Doch dafür kann man nicht einfach auf den Stopp-Knopf drücken, um in Ruhe von der Zucht über die Ställe, den Schlachtstätten und bis zum Handel alles entsprechend umzubauen. Wo vorher „nur“ Eier produziert wurden, findet nun auch Mast statt. Liefer- und Verarbeitungsketten galt und gilt es zu erweitern oder neu zu schaffen. Dieser Systemwandel muss sukzessive im laufenden Betrieb erfolgen, was nicht ohne Geburtswehen vonstatten gehen kann.

Die Aufzucht der Bruderhähne ist ein Zwischenschritt, bei dem es gilt, nicht allzu lange zu verweilen. Schließlich setzen die Tiere zu wenig Fleisch an und benötigen dazu im Vergleich zu viel Futter, wovon sich mit Mais, Getreide, Soja vieles für den direkten menschlichen Verzehr eignet. Für eine vollständige ökologische Wende sind Zweinutzungshühner, die genügend Eier liefern und deren Hähne sich für die Mast eignen, der Königsweg. Diese Tiere kommen ohne konventionelles Kraftfutter aus, welches ab nächstem Jahr in der ökologischen Landwirtschaft endgültig verboten ist. Gelingt es, sich mit einer eigenen Tierzucht von großen Konzernen zumindest teilweise zu emanzipieren, wäre das die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.

Doch ein Schritt nach dem anderen. Der Startschuss für die systematische ökologische Tierzucht ist erst vor wenigen Jahren gefallen. Die Tiere müssen sich in der Praxis bewähren – und zwar nicht nur auf dem kleinen Bauernhof mit seinen zwei Mobilställen, sondern auch in größeren Betrieben wie beispielsweise dem Mustergeflügelhof Leonhard Häde. So ganz geht die Rechnung dort allerdings noch nicht auf.

Heute und nicht erst morgen müssen auch Verbraucher und Handel aktiv werden. So ganz haben Rewe, Edeka und tegut das Problem allerdings noch nicht verstanden. Zwar gibt es in ausgesuchten Filialen die Eier von Zweinutzungshühnern des Mustergeflügelhofs zu kaufen, aber keine Fleischprodukte. Und schon wieder konzentriert man sich auf die Eier und vergisst den Hahn, wie alle Jahre zuvor. Zum hinter die Ohren schreiben: Ohne Hähne gibt es auch keine Hennen auf den Höfen. Der Zweinutzungshahn muss sich wirtschaftlich selbst tragen, noch überwiegt allerdings die Nachfrage nach Eiern die nach Fleisch. Bei aller berechtigter Kritik: Wer den Umbau der Geflügelhaltung fordert, muss ihn fördern. Wer bei Akteuren der Branche nachfragt hört oft, dass er einmal im Jahr ein Hähnchen kaufen muss, um seine persönliche Eier-Fleisch-Balance auszugleichen. Oder wie es Fabian Häde auszudrücken pflegt: „Es gibt keine vegetarischen Eier.“

4 Kommentare zu “Mal eben nebenbei Huhn und Hahn austauschen

  1. Jens Brehl

    Ja, wir liegen bei etlichen Punkten auf der gleichen oder doch zumindest ähnlichen Linie. Es freut mich sehr, dass Sie sich so tiefgehend mit den Inhalten von „über bio“ beschäftigen.

    Zu 1: Das war von mir als Ergänzung gedacht und keine Unterstellung Sie hätten anderweitiges behauptet.

    Zu 2: In der Breite gibt es immer wieder etliche Medienberichte, gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind immer wieder kritische Informationssendungen zu finden, die sich mit den verschiedenen Aspekten unserers Ernährungssystems befassen – wenn auch nicht täglich, aber zumindest wird man in den Mediatheken von Fernsehen und Radio recht schnell fündig. Sie sprechen jedoch einen großen Knackpunkt an: Lokaljournalismus. Der kann gerne vielfältiger und vor allem auch kritischer werden. Keine Entschuldigung aber oft eine Herausforderung: fehlende finanzielle sowie personelle Ressourcen Themen über Wochen oder gar Monate zu recherchieren.

    Generell: Ja, alles bio = alles super greift zu kurz. Daher berichtet „über bio“ immer wieder kritisch über Entwicklungen in der Bio-Branche – wie zuletzt im Beitrag über den Fleischverarbeiter Biomanufaktur Havelland (https://www.ueber-bio.de/nach-schlachthof-skandal-biomanufaktur-havelland-schweigt-sich-aus/) und in dem im Frühjahr erschienenen E-Book „Mitgefangen, mitgehangen – Bio und das große Schlachten“ (https://www.ueber-bio.de/edition-ueber-bio/). Weitere konstruktiv-kritische Recherchen bezüglich Umgang mit Nutztieren in der ökologischen Landwirtschaft sind geplant. Dabei gilt es aber das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Viele Landwirtinnen und Landwirte leisten eine hervorragende Arbeit und würden gerne noch viel mehr für Tierwohl und Umweltschutz tun.

    Auch bei „über bio“ ist alles eine Frage der Ressourcen: Je mehr Leserinnen und Leser freiwillig für die Inhalte zahlen, umso mehr Beiträge können erscheinen, umso mehr tief gehende und langfriste Recherchen sind möglich.

  2. Bernhard Sitzmann

    Laut Albert Schweitzer Stiftung werden jährlich rund 600 Millionen Hühner in Deutschland gemästet und geschlachtet. (ca. 85 % der geschlachteten Landtiere). Eine unglaubliche Zahl! Und nur ein sehr geringer Teil dieser Tiere wird in ökologischer Weise gehalten (knapp 5 %). Natürlich ist die Biohaltung konventionellen Haltungsformen grundsätzlich vorzuziehen. Natürlich ist es wünschenswert, wenn keine 45 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlupf vergast und geschreddert werden, weil sie den Landwirten keinen Gewinn bringen! Natürlich wäre es zu begrüßen, dass Millionen Bruderhähne aufgezogen werden bzw. wenn die Möglichkeit eines „Zweinutzungshuhns“ immer mehr an Realität gewänne. Nur sollte uns all dies nicht davon abhalten, einen Blick auf das millionenfache Tierleid in konventionellen Haltungsformen zu werfen!! Warum informiert man bspw, so selten über die körperlichen Leiden der Masthühner (Knochendeformationen,Fußballenentzündungen,Hautverletzungen,Gelenkentzündungen, Erkrankungen des Atmungstraktes durch Infektionen und Schadgase und vieles mehr). Und nach rund 35 Tagen geht es zum Schlachter. Hier werden Tiere total verzweckt! Dies ist grauenhaft und aus ethischen Gründen abzulehnen. Letztlich geht es konventionell gehaltenen Legehennen in der Regel nicht viel besser!
    Worauf sollte also der Fokus gelegt werden?
    Der einzig sinnvolle Weg besteht letztlich darin, den Verzehr tierischer Produkte radikal einzuschränken, wenn möglich ganz zu vermeiden. Auch die Biohühner werden letztlich nicht „tot gestreichelt“!

    • Jens Brehl

      In der Bio-Branche ist es so weit ich es beurteilen kann Konsens, dass der Fleischkonsum reduziert werden muss. Bislang ist mir noch niemand begegnet, der die derzeitigen Tierhaltungszahlen 1 : 1 in öko abbilden will – was auch beispielsweise durch die Flächenbindung in der ökologischen Landwirtschaft unmöglich ist (und wenn möglich kompletter Irrsinn wäre). So wird beispielsweise Sven Euen, Geschäftsführer des Erzeugerschlachthofs Fulda, nicht müde auf diesen Umstand immer wieder hinzuweisen. Ich bin bei Ihnen: Ein Tier ist ein Lebewesen und darf nicht – wie Sie es ausdrücken – verzweckt werden. Das ist unwürdig.

      Die Bio-Geflügelhaltung steht vor vielen großen Aufgaben, wie sich so weit wie möglich von den einseitig gezüchteten Hochleistungsrassen und damit von den wenigen den Markt beherrschen Zuchtunternehmen zu emanzipieren. Wenn das überhaupt gelingt, wird der Umbau des Systems noch viele Jahre dauern.

      Das Leid der Legehennen und Masthühner, welches teilweise in der konventionellen Landwirtschaft vorherrscht, wird seit etlichen Jahren von Medien gut dokumentiert: Im Radio, im Fernsehen, in etlichen Zeitungsberichten (zuletzt wieder in der Süddeutschen Zeitung letztes Wochenende auf mehreren Seiten). Auch die Ausbeutung der Landwirte und deren Angestellte im System der großen Konzerne wurde da angesprochen.

      • Bernhard Sitzmann

        In etlichen Punkten liegen wir sicher auf einer „Linie“ . Ich halte die Förderung der Biolandwirtschaft für eine grundsätzlich sinnvolle Aufgabe und schätze ihre entsprechende Arbeit!
        Zwei Anmerkungen:

        1. Ich habe sicher nicht behauptet, dass die Tierhaltungszahlen 1: 1 in Öko abzubilden sind!

        2. Sie konstatieren, das Leid der Legehennen bzw. Masthühner – so wie es überwiegend in der konventionellen Landwirtschaft vorherrscht -, würde seit etlichen Jahren von Medien gut dokumentiert. Diese Ansicht teile ich nicht! Die Süddeutsche Zeitung bildet da in der Tat ganz sicher eine der wenigen Ausnahmen! Auch viele Tierschutzverbände informieren sicher ausreichend. In der Breite der täglichen Presse-/ Medienlandschaft findet das aus meiner Sicht viel zu selten statt. Ich denke bspw. an das osthessische Presse- und Medienwesen. Überprüfen Sie diesbzgl einmal die in der FZ publizierten Serien „Unser Fleisch“ oder die Serie „Regio Farm“ im Marktkorb: Für mich waren dies weitgehend geschönte Serien! Ich sehe die Gefahr, dass man über die publizistische Fokussierung auf den Biobereich allzu gerne den konventionellen Bereich ausblendet. Beispiele könnte ich beliebig anführen. Dies betrifft beispielsweise auch so manche politische Partei. Ein Grund dafür sehe ich u.a. darin, den Konsumenten tierischer Produkte auf keinen Fall ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen. Das kommt einfach schlecht an. Ich weiß, von was ich rede! Passend dazu: Der Hinweis auf Bio sollte nicht dazu dienen , den moralischen Konflikt des „Gewaltparadoxes“ gegenüber den Tieren zu reduzieren bzw. zu entschärfen. Dies unterstelle ich Ihnen aber keinesfalls! Aber ich nehme diese Gefahr immer wieder im Alltag wahr. Wie oft hört man, ich konsumiere doch „Bio“, dann ist doch alles gut – oder?

        LG Bernhard Sitzmann

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