Bio? Logisch!

„Wir könnten schon viel weiter sein!“

Ursprünglich wollte Demeter-Landwirt Carsten Bauck 3.000 Tiere der Zweinutzungsrassen Coffee und Cream von der gemeinnützigen Ökologischen Tierzucht (ÖTZ) einstallen. Da sich die höherpreisigen Eier und Fleisch derzeit kaum vermarkten lassen, zogen nur 1.000 Tiere ein. Die unwirtschaftliche und ökologisch fragwürdige Mast der Bruderhähne der spezialisierten Lege-Rassen so weitgehend wie möglich hinter sich zu lassen – wie in weiten Teilen der Bio-Branche gewünscht – wird noch etliche Jahre dauern. Der Markt regelt es derzeit nicht. Bauck, der auch als Sprecher Geflügelhalter im Anbauverband Demeter aktiv ist, fordert daher eine verbindliche Quote für Zweinutzungsrassen bei allen Anbauverbänden und redet offen über derzeitige Hürden.

Archivbild: Carsten Bauck auf der Fachmesse BioNord 2022
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Zweinutzungshühner produzieren im Vergleich mit den Hochleistungs-Legerassen weniger Eier. Wie viele kann der Bauckhof offen als Eier vom Zweinutzungshuhn zu dem benötigten Mehrpreis absetzen?

Von den jährlich bis zu 240.000 vermarktungsfähigen Eiern können wir die Hälfte als Produkte vom Zweinutzungshuhn absetzen, wofür Endkunden einen Euro pro Ei zahlen. Der Rest geht zum Preis der Lohmann Brown-Plus-Eier, der bis zu 70 Cent beträgt, über den Ladentisch. Damit ist die Herde klar defizitär.

Zudem legen die Zweinutzungshühner länger kleinere Eier. Daher hatten wir sie bislang ausschließlich als „faires Pfund“ in die Bio-Läden gebracht, also nach Gewicht verkauft. Auf Wunsch haben wir zusätzlich auf Einzelverkauf umgestellt. Die Eier scheinen dadurch etwas besser nachgefragt zu sein. Natürlich ist es verständlich, wenn der vergleichsweise hohe Preis einen Teil der Kundschaft abschreckt. Wir haben uns in Deutschland längst daran gewöhnt, dass Bio-Eier jederzeit günstig zu haben sind.

Welche Absatzkanäle funktionieren?

Der Abo-Service Hoflieferant aus Hamburg und der Bio-Laden Naturata in Köln bieten die Eier von den Zweinutzungshühnern an. Besonders Matthias Deppe (siehe Infokasten am Ende des Beitrags – Anmerkung Jens Brehl) legt sich mächtig ins Zeug, der mit seinem Bio-Großhandel Naturkost Nord rund 100 Bio-Läden versorgt. Bei allen Mühen ist es dennoch ein Witz, dass wir gerade einmal die Eier von 500 Hennen vermarkten können.

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Wie sieht es mit dem Fleisch vom Zweinutzungshahn aus?

Die 1.000 zu den Hühnern gehörenden Hähne konnten wir nicht separat vermarkten, wir haben keine eigenständige Fertigungslinie. Daher landet deren Fleisch in den Bruderhahn-Fertigprodukten im Glas.

Zu jeder Lohnmann Brown-Plus-Henne ziehen Sie, wie bei allen Anbauverbänden mit Ausnahme von Biopark vorgeschrieben, einen Bruderhahn auf. Nicht jedem Bio-Betrieb gelingt es, die unwirtschaftliche Mast durch einen höheren Eierpreis zu finanzieren.

Bei uns geht die Kalkulation noch auf, weil viele Kunden bewusst zu unseren Produkten greifen. Wir betreiben viel Öffentlichkeitsarbeit und haben regelmäßig Besuchergruppen auf dem Hof. Das schafft Vertrauen.

„Bruderhähne sind lebendig gewordene Futterverschwender. Die Tiere sind so ineffizient, dass unser ökologischer Fußabdruck riesig geworden ist“, sagten Sie in einem Interview mit dem Fachmagazin BioTOPP. Die Bruderhähne werden Sie noch auf unabsehbare Zeit großziehen müssen, da sich Zweinutzungsrassen derzeit nicht wesentlich durchsetzen. Bereits seit 2009 ist bei Demeter ausschließlich Bio-Futter zugelassen und muss bei Geflügel mindestens zur Hälfte vom eigenen Hof oder von einer Kooperation mit einem anderen Demeter-Betrieb stammen. Es muss doch richtig schmerzen, wertvolle Ressourcen derart zu verschwenden.

Wir treiben es sogar noch auf die Spitze und schlachten erst nach 18 bis 22 Wochen. Wenn der Bruderhahn schon unserem Eierkonsum geschuldet auf der Welt ist, soll er sich spüren können. Konkret bedeutet das, die Pubertät durchzumachen und sich im Hahn-sein zu erleben. Im Alter wird er dann so richtig ineffizient, weil die Gewichtszunahme deutlich zurück geht.

Bei konventionellen Masthähnen bringen 1,4 Kilogramm Futter etwa ein Kilo Lebendgewicht. Unsere langsam wachsende Masthybride ISA JA 757 aus dem Hause Hubbard (gehört als Teil der Aviagen-Group zur EW Group – Anmerkung Jens Brehl) benötigen dafür 2,8 Kilogramm. Der Bruderhahn verschlingt jedoch 5,5 bis sechs Kilogramm.

Es derart auf die Spitze zu treiben sorgt doch bestimmt auch für Unverständnis, oder?

Wir wollen keine windelweiche Lösungen, wie den Bruderhahn nach zehn Wochen billig in Polen schlachten zu lassen. Stattdessen möchte ich weiterhin Druck auf das Thema ausüben und die Problematiken im gesellschaftlichen Bewusstsein verankern. Der einfachste Weg ist, es besonders ineffizient zu machen – weil wir das auch Tierwohl bestmöglich achten. Wem das nicht gefällt, kann gerne die Produkte von Zweinutzungsrassen kaufen. Das ist die Lösung.

Was macht der Gedanke mit Ihnen, dass sich der Schritt weg vom Bruderhahn hin zum vermehrten Einsatz von Zweinutzungsrassen dermaßen in die Länge zieht?

Ganz bewusst haben wir uns für Zweinutzungsrassen entschieden und waren vorher im engen Austausch mit dem Handel und der Kundschaft. In vielen Gesprächen wurde klar, dass sich die ökologische Landwirtschaft beim Saatgut und bei der Tierzucht unabhängiger von Konzernen machen soll. So gelangt das jeweilige Genom wieder in die Hände von Bäuerinnen und Bauern. Teile der Bio-Kundschaft und der Gesellschaft wollten dies. Dann setzt du das um, und deine Arbeit wird von den Befürwortern nicht bezahlt. Es enttäuscht mich wie auch weite Teile der Demeter-Gemeinschaft zutiefst, dass Anspruch und Realität in diesem Punkt so dermaßen auseinander klaffen. Wir könnten schon viel weiter sein.

Die wenigsten Landwirtinnen und Landwirte werden in der Praxis beginnen, wieder selbst Saatgut und Tiere zu vermehren.

Es geht auch darum, Handelsmonopole aufzubrechen. Nur eine handvoll Unternehmen dominieren den Markt für Saatgut und Zuchttiere. In der ökologischen Landwirtschaft möchten wir den Einsatz von CRISP/Cas bei Pflanzen und genom-editierte Tiere weiterhin sicher ausschließen. Wir möchten keine Tiere, die nur noch als „Einwegprodukte“ einsetzbar sind.

Die Hühner von der Ökologischen Tierzucht (ÖTZ) kann ich zumindest theoretisch jederzeit auf meinem Hof züchten und vermehren, was die beste dezentrale Vorsorge vor möglichen Krisen ist – und von denen haben wir in den letzten Jahren einige erlebt.

Die Umstände sind alles andere als ermunternd. Wie sieht die Zukunft der Zweinutzungsrassen auf Ihrem Hof aus?

Noch vor drei Jahren gefragt hätte ich mit absoluter Sicherheit behauptet, dass wir bis spätestens 2025 ausschließlich Zweinutzungsrassen von der ÖTZ auf dem Bauckhof halten. Dieser Schritt war zum Greifen nahe: Wir öffnen den Markt, kommunizieren die Hintergründe und nehmen alle Bio-Kunden mit. Wenige Tage bevor die ersten Zweinutzungstiere auf dem Hof einzogen, überfiel Wladimir Putin die Ukraine und alles änderte sich. Aber: Wir machen auf jeden Fall weiter.

In der Bio-Geflügelhaltung gibt es auch Akteure, die an den spezialisierten Hochleistungsrassen festhalten wollen, weil sie effizient sind und viele Eier und viel Fleisch liefern.

Die Beharrungskräfte sind teils sogar sehr stark. Einige kommunizieren, dass man in der ökologischen Landwirtschaft bald soweit sei Zweinutzungsrassen zu halten, und sich selbst in diesem Punkt überhaupt nicht bewegen. Man zeigt sich zukunftsgewandt und verdient gleichzeitig gut im alten System. Echte Überzeugungstäter findet man in jedem Anbauverband, doch der Kreis ist noch überschaubar.

Wie kann denn ein Durchbruch erfolgen, in der Bio-Geflügelhaltung so weitgehend wie möglich auf Zweinutzungsrassen zu setzen?

Wenn diejenigen, denen Umwelt- und Tierschutz wichtig ist, entsprechend einkaufen, könnten alle Bio-Geflügelhalter Zweinutzungsrassen einstallen. Das wird so schnell aber nicht passieren. Wir müssen dringend weg von den versprenkelten Überzeugungstätern und hin zu verbindlichen Richtlinien aller Anbauverbände. In meinen Augen muss eine verbindliche Quote her. Die kann am Anfang noch so klein sein, würde aber einen großen Effekt erzielen. Zweinutzungsrassen müssen wir ernsthaft in den Öko-Landbau implementiert, ansonsten drehen wir der Zucht den Hahn ab.

Gleichzeitig müssen alle Handelsstufen mit ins Boot geholt werden, von denen sich bis dato die wenigsten Gedanken gemacht haben. In deren Sortimenten müssen Eier und Fleisch von Zweinutzungsrassen zu finden sein. Viele Landwirtinnen und Landwirte entscheiden sich ja derzeit allein aus ökonomischen Gründen gegen Zweinutzungsrassen.

Da bohren Sie aber ein dickes Brett.

Zunächst müssen wir verbindlich definieren, was überhaupt eine echte Zweinutzungsrasse ist. Ansonsten wäre augenblicklich die Lohmann Tierzucht mit der Dual und Sandy am Start. Damit schüttelt man die Abhängigkeiten von Konzernen aber nicht ab. Zudem müssen Huhn und Hahn eigenständig und gleichwertig sein. Sandy ist beispielsweise ein besonders leichtes und effizientes Huhn, aber in der Mast braucht es schwere Tiere mit entsprechendem Schlachtkörper. In meinen Augen definiert die ÖTZ den derzeitigen Standard. Wenn die Demeter-Gründer nur nach der Machbarkeit geschaut hätten, würde es den Verband nicht geben.

Von alleine läuft es nicht“

Unermüdlich wirbt der Geschäftsführer des Bio-Großhandels Naturkost Nord, Matthias Deppe, für die Eier vom Zweinutzungshuhn. Gemessen am tatsächlichen Umsatz ist sein kommunikativer Mehraufwand alles andere als wirtschaftlich. Dabei war von Anfang an klar: „Die Aufzucht der Bruderhähne ist nur eine Brückenlösung. Alle Merkmale, die zu der industriellen Genetik geführt haben, passen nicht zum ökologischen Kreislaufsystem“, sagte er im persönlichen Gespräch auf der diesjährigen Fachmesse BioOst in Leipzig. Lösen könne man dies nur mit züchterischen Ansätzen, die heute relativ weit seien. „Naturkost Nord war ja auch ein Mitgründer der Bruderhahn Initiative Deutschland (heute Brudertier Initiative Deutschland). Unseren Kunden haben wir seit zehn Jahren gesagt, wir arbeiten mit an der Lösung. Die ist mit den Zweinutzungsrassen nun da und daher müssen wir sie im noch gegenläufigen Markt bekannt machen. Von alleine läuft es nicht.“ Dieses zarte Samenkorn gehe derzeit vor allem bei Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern auf, die selbst Überzeugungstäter sind. Manche haben in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation – der Umsatz des Bio-Fachhandels ging im vergangenen Jahr um 12,3 Prozent auf 3,14 Milliarden Euro zurück und liegt damit unter dem Niveau von 2019 – keine Kraft für das Thema Zweinutzungsrassen. „Zum Verkaufsstart der Eier hatten wir die Abschreibungen der nicht verkauften Ware erstattet, um überhaupt den Mut zu erzeugen sie anzubieten.“

Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

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