Das Essen in Krankenhäusern hat einen schlechten Ruf – oft zu recht. Die Ausrede man müsse Kosten sparen lässt Thomas Voß, kaufmännischer Direktor der LWL-Kliniken im nordrhein-westfälischen Münster und Lengerich nicht gelten. In beiden psychiatrischen Fachkrankenhäusern des überregionalen kommunalen Trägers Landschaftsverband Westfalen-Lippe wird frisch gekocht und es finden viele Bio-Lebensmittel den Weg auf die Teller. In Münster sind das 950 und in Lengerich 800 Mittagsessen täglich.
Die Kosten für Lebensmittel am gesamten Aufwand eines Krankenhauses würden rund zwei Prozent betragen und wären demnach beinahe schon zu vernachlässigen. „In unseren beiden Kliniken haben wir einen relativ hohen Wareneinsatz und liegen bei 1,8 Prozent“, sagte Voß anlässlich einer Onlinetagung des Aktionsbündnisses Bioschweinehalter Deutschland Ende November vergangenen Jahres und warb eindringlich für den vermehrten Einsatz von Bio-Lebensmitteln auch als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie.
„Essen hat unglaubliche Auswirkungen was Flächenverbrauch, Biodiversität, CO2-Emission, Abholzen der Regenwälder zu Gunsten des Anbaus von Soja für den Futtertrog angeht und mehr. Für das hauseigene Umweltmanagement ist es daher sehr bedeutsam. Darüber hinaus sollte ein Krankenhaus mit seinem besonderen gesellschaftlichen Auftrag dafür sorgen, dass Patientinnen und Patienten gutes und gesundes Essen auf den Tisch bekommen – wie auch die Mitarbeitenden.“
Wachsender Markt
Gemessen am monetären Wareneinsatz hat Bio in Lengerich einen Anteil von über 20 Prozent, in Münster von über 30 Prozent. Saisonale Produkte aus der Region spielen die erste Geige, um Lieferwege kurz zu halten und die Erzeuger persönlich zu kennen. Möglichst viele tierische Produkte sollen aus artgerechter Tierhaltung stammen. „Da spielt Bio natürlich eine große Rolle“, ist Voß überzeugt. Deswegen haben sich die Kliniken von den zentralen Ausschreibungen des Landschaftsverbands abgekoppelt. „Für uns ist das Frischware, die zu Tagespreisen gehandelt wird.“ Und die kommt größtenteils aus Nordrhein-Westfalen.
Gemeinsam „über bio“ ermöglichen
Dieser Artikel sowie alle Inhalte von „über bio“ sind für Sie kostenfrei.
Hochwertiger Journalismus kostet neben Zeit für Recherche auch Geld. Ich freue mich über jede Unterstützerin und jeden Unterstützer, die/der das Magazin via Banküberweisung, Paypal oder jederzeit kündbares Abo bei Steady ermöglicht. Seien Sie auch mit dabei.
Frischmilchprodukte wie Quark und Joghurt liefert die hofeigene Molkerei des Bioland-Betriebs Fockenbrock aus Telgte. Dank des Bioland-Hofs Hanhart aus Herzebrock-Clarholz stammt zwischen 90 und 95 Prozent des Rindfleischs aus ökologischer Landwirtschaft. Bis auf die Innereien sind die beiden Krankenhausküchen auf das Verarbeiten des gesamten Tiers ausgerichtet, welches jeweils grob zerteilt geliefert wird. So bilden beispielsweise Knochen die Grundlage für Suppen und Soßen. Der teils vergleichsweise hohe Einsatz von Antibiotika in der konventionellen Schweinemast war der Hauptgrund, dieser vollständig den Rücken zu kehren. „Wir sind Teil eines EUREGIO-Projekts im deutsch-niederländischen Grenzgebiet zur Vermeidung von multiresistenten Erregern“, erklärte Voß.
Bereits seit 2010 stammt das Schweinefleisch komplett aus ökologischer Landwirtschaft, welches Biofleisch NRW liefert. Die Genossenschaft vermarktet ausschließlich im Bio-Fachhandel und erwirtschaftet dort 60 Prozent des Umsatzes – beispielsweise als Hauptlieferant für die Frischetheken der 30 SuperBioMarkt-Filialen. Doch die Außer-Haus-Verpflegung ist ein wachsender Markt, rund 20 Prozent der monatlich produzierten etwa 112 Tonnen landen dort. „Was benötigt wird, stellen wir her – auch nach Kundenrezeptur“, sagte Geschäftsführer Andreas Sperber. Bei Bratwurst, Schnitzel, Steak, Frikadelle und Co. sind alle Kalibrierungen möglich. „Diese Flexibilität macht uns an der einen oder anderen Stelle natürlich ineffektiv, aber wir bieten dadurch einen riesigen Kundenservice an.“ Fällt die Frikadelle etwas kleiner aus und liegen dafür mehr Sättigungsbeilagen bei, erleichtere dies Großküchen den Umstieg auf hochwertiges und vergleichsweise teures Bio-Fleisch. Auch vorgegarte Produkte wie Gulasch oder Königsberger Klopse sind verstärkt gefragt. Sie erleichtern als fertiges zugeliefertes Produkt teil-zertifizierten Großküchen den garantierten Bio-Nachweis. „Wir sind dabei uns verstärkt auf Großküchen, Caterer und Gastronomie einzustellen, in dem wir auch dementsprechende Maschinenparks anschaffen.“ So kam kürzlich ein Bällchenformer hinzu, um auch kleinste Fleischkügelchen zu je 20 Gramm produzieren zu können. Die sind in der Schul- und Kinderverpflegung sehr beliebt.
„Kunden, die wöchentlich nur 5.000 Schnitzel kaufen, brauchen wir nicht. Wo Fleisch geliefert wird, muss auch Verarbeitetes abgenommen werden, um auch die Abschnitte des Schweins vermarkten zu können.“ So kaufen die LWL-Kliniken neben Edelteilen auch Fleischkäse, Mettwurst und dergleichen ein. Vor kurzem konnte mit Biond ein großer Bio-Caterer aus Kassel gewonnen werden, der täglich mehr als 10.000 Essen an Schulen und Kitas liefert. Entsprechend mengenintensiv sei dessen Bedarf. „Die bestellen auch 300 Kilogramm Fleischknochen dazu“, freute sich Sperber, der einen weiteren Aspekt hervorhob: „Kunden können sich jederzeit unsere Produktion anschauen oder auch die Erzeugerbetriebe besuchen. Somit können sie ihren Gästen genau sagen, woher das Fleisch stammt. Das Bio-Siegel alleine reicht auf Dauer nicht mehr aus, um zu überzeugen.“
Bio kostenneutral möglich
In den beiden LWL-Kliniken ist Bio schon lange ein Selbstläufer, entsprechend wird das Angebot stetig weiter ausgebaut. „Seit 2007 gab es bei der zentralen Beschwerdekommission des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe keine Klagen mehr über das Essen in unseren beiden Kliniken“, hob Voß hervor.
Der Anfang war dennoch steinig. Von 1996 bis 2004 kam verstärkt Convenience zum Einsatz. Bereits vor der Bio-Umstellung 2004 – mit der auch wieder die Frische in die Küche einzog – gab es mit einem Bio-Gericht den ersten Gehversuch. Der Erfolg blieb aus. Die Aktion „Bio kann jeder“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums brachte neuen Schwung. Sie zeigte auf, dass ein Bio-Anteil von mindestens zehn Prozent in der Außer-Haus-Verpflegung kostenneutral zu realisieren ist. Statt ein ganzes Menü stellten die LWL-Kliniken trotz damaliger Skepsis der Küchenleitung einzelne Komponenten auf Bio um; Kartoffeln machten den Anfang. „Die schmeckten deutlich besser als die konventionelle geschwefelte Ware. Das Feedback an die Küche war demnach sehr gut und so hat diese schließlich Feuer für das Thema gefangen.“
„Das Bio-Siegel alleine reicht auf Dauer nicht mehr aus, um zu überzeugen.“
Andreas Sperber, Geschäftsführer Biofleisch NRW
Das Vermeiden von Lebensmittelabfällen war der Schlüssel, um tatsächlich einen Bio-Anteil von zehn Prozent kostenneutral zu realisieren. So gab es eine Vorsuppe nicht mehr automatisch zu jedem Mittagsmenü, sondern nur auf expliziten Wunsch. „Vorher haben wir größtenteils für die Tonne produziert, da nicht jeder seine Suppe auch gegessen hatte. Jährlich sparen wir durch das Vermeiden von Lebensmittelverschwendung 50.000 Euro, die im Budget der Küche verbleiben, um dafür höherwertige Lebensmittel einzukaufen.“
Bis 2030 sollen 30 Prozent der Agrarflächen ökologisch bewirtschaftet sein, so lautet zumindest das ambitionierte Ziel der Bundesregierung. Derzeit sind es rund elf Prozent. Alleine marktgetrieben könne bis Anfang der 2030er-Jahre 20 Prozent Öko-Anbau erreicht werden, wie es in einem im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums ausgearbeiteten Strategiepapier heißt. Speziell die Außer-Haus-Verpflegung soll einen Nachfrageschub für Bio-Lebensmittel bringen. „Auf intrinsische Motivation von Führungskräften zu bauen, wird uns nicht viel weiterbringen. Die sind sowieso schon auf dem Weg“, zeigte sich Voß skeptisch. „Die öffentliche Hand muss mit gutem Beispiel vorangehen. Ich befürworte feste Bio-Quoten in den Verantwortungsbereichen Bund, Länder und Kommunen. Ohne einen gewissen Druck wird es nicht funktionieren.“
0 Kommentare zu “Bio in der Krankenhausküche? Kein Problem!”