Fleisch essen und das Klima sowie die Umwelt schützen schließt sich doch vollkommen aus, oder? Ja, das stimmt in sehr vielen Fällen, aber eben nicht immer. Wie ein ökologisch nachhaltiger und sinnvoller Fleischkonsum aussehen kann – besser gesagt aussehen muss – zeigt der Journalist Stefan Michel in seinem kürzlich im oekom verlag erschienenen Buch „Fleisch fürs Klima“ auf. Wer einen Freifahrtschein für ungehemmten Fleischgenuss erwartet, der wird definitiv enttäuscht.
„Wir Menschen sehnen uns ja nach stimmigen, einfachen Antworten auf die großen Fragen des Lebens, etwa nach der richtigen Ernährung und danach, wie unser Planet zu retten sei. Es würde sich natürlich großartig fügen, wenn die vegane Ernährung nicht nur die beste Lösung für unseren Planeten wäre (und dem kommt sie ja tatsächlich auch nahe), sondern zugleich die einzige unserer Anatomie entsprechende (der Mensch als geborener Veganer) sowie die einzig gesunde Ernährungsweise (Fleischkonsum als Ursache von Krankheit und Tod)“, schreibt der Journalist Stefan Michel in „Fleisch fürs Klima“. Je mehr man an diesem oftmals postulierten Bild kratze, desto unstimmiger würde es.
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Natürlich könnten Erwachsene in den westlichen Überflussgesellschaften problemlos auf Lebensmittel tierischen Ursprungs verzichten, aber führt das automatisch zu mehr Klimaschutz? Michels Antwort ist ein klares Jein.
Es grünt so grün – dank der Weidetiere
Die Klima- und Energiebilanz von Fleisch ist dann besonders schlecht bis fatal, wenn außerhalb von sinnvollen Fruchtfolgen extra Futtermittel angebaut, und im schlimmsten Fall noch um den halben Globus transportiert werden. Muss auch noch wertvoller Regenwald weichen, ist die ökologische Katastrophe auf unseren Tellern komplett. Michel hat sich entschieden, die Fehlentwicklung der konventionellen und intensiven Landwirtschaft und Tierhaltung aufzuarbeiten, ohne richtigerweise pauschal alle Bäuerinnen und Bauern zu verurteilen. Da ist ein zu hoher Einsatz von wertvollen (Reserve-)Antibiotika auf der einen Seite, und zu viele Gülleüberschüsse produzierende Tiere auf zu kleiner Fläche auf der anderen. Dennoch oder gerade deswegen liefert der Journalist ein fast schon leidenschaftliches Plädoyer für Fleischkonsum ab. Denn der kann unter gewissen Umständen ökologisch nachhaltig und in Maßen auch sinnvoll sein.
So ist Dauergrünland ein wertvoller CO2-Speicher und ein Hort der Artenvielfalt, welches durch das Beweiden mittels Rindern, Schafen und Ziegen erhalten bleibt. Instinktiv möchte man annehmen, diese Flecken komplett der Natur zu überlassen wäre noch besser. Dann entsteht ein Wald, der zwar in etwa die gleiche Menge CO2 bindet, allerdings geht die Artenvielfalt bei Flora und Fauna zurück. Die weidenden Nutztiere verwandeln für den Menschen nicht essbares Gras in Fleisch und Milch um – anders als die Nahrungskonkurrenten Schwein und Geflügel, in deren Trog vieles landet, was zum direkten menschlichen Verzehr geeignet wäre. Böse betrachtet ein Minusgeschäft. Doch reine Weidemilch und Weidefleisch sind nicht überall erhältlich oder nicht einwandfrei als solche zu erkennen.
Fleischerhandwerk als Teil der Lösung
Michel wünscht sich, dass Metzgerinnen und Metzger als Vertrauenspersonen gelten. Die Kundschaft solle bei jedem Einkauf fragen, woher die Tiere stammten, wie sie gehalten und gefüttert wurden. „Wenn die Metzgerin oder der Verkäufer an der Fleischtheke darauf keine Antwort weiß, streichen Sie den Einkauf!“ Gleiches Spiel im Supermarkt, wenn auf der Packung eindeutige Angaben fehlen und selbst ein QR-Code diesbezüglich in die Informationswüste führt.
Damit die ökologische Bilanz auch bei Weidefleisch aufgeht, heißt es das ganze Tier zu verarbeiten. Auch hier könne das Verkaufspersonal Teil der Lösung sein und aktiv Teilstücke anbieten, die eher wenig nachgefragt werden. Wer Steak möchte, muss eben auch mal zur Beinscheibe und Suppenknochen greifen. Das sagt sich jetzt natürlich so leicht. Michel hat (Bio-)Metzger zu ihrem Vorgehen befragt. Zur Wahrheit gehört: Auch umweltbewusste Bio-Kunden bevorzugen hauptsächlich Filet, Hüfte, Rumpsteak, Schnitzel & Co. Schäferin Birgit Tölkes hingegen hat ihre Kundschaft bereits konsequent „umerzogen“. Wer Edelteile haben möchte, bekommt diese nur in Kombination mit etwas anderem, wie beispielsweise Hackfleisch.
Bio, bitte
Auch wenn in der ökologischen Landwirtschaft nicht alles perfekt ist (auch hier bekommen Milchkühe mitunter Kraftfutter), sei Bio eindeutig ein Schritt in die richtige Richtung. Platzangebot, Auslauf, Flächenbindung und mehr sind gesetzlich geregelt, was Michel auch wo nötig en détail erläutert. Wenn schon Fleisch, dann gutes und dafür weniger. Denn eines ist glasklar: Jährlich 55 Kilogramm Fleisch pro Kopf ist zu viel.
Die Stärken des Autors und seines Werks sind die allgemeinverständliche Schreibweise und die Tiefe der Recherche. Michel war bei zahlreichen Bäuerinnen und Bauern vor Ort und ordnet mögliche Schwachstellen ein, erklärt Hintergründe. Somit ist „Fleisch fürs Klima“ auch für Einsteiger ein geeignetes Werk, die Landwirtschaft, komplexe Gebilde wie die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union und Tierhaltung besser verstehen möchten. Ein echtes Sahnehäubchen ist das umfassende Quellenverzeichnis, welches leider nicht mehr bei jedem Verlag zum Standard gehört und daher explizit zu erwähnen ist. In „Fleisch fürs Klima“ schafft es der Autor, die Finger in die Wunde zu legen und gleichzeitig für bewusste Ernährung zu motivieren – ob mit Fleisch, rein oder überwiegend pflanzlich. Guten Appetit.
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