In der Fleischbranche ist eine Revolution im Gange. Bereits seit Jahren herrscht in der konventionellen wie ökologischen Fleischwirtschaft weitläufig der Konsens, dass im Sinne von Klimaschutz & Co. deutlich weniger Tiere gehalten werden müssen und weniger Fleisch und Wurst auf den Tellern landen sollte. Die Branche diskutiert nicht mehr ob, sondern vor allem wie der Umbau gestaltet werden kann und welche Stolpersteine es zu beachten gilt – so auch Ende Januar auf dem Frische Forum Fleisch.
„Gemeinsam bereit für den Wandel – Die Ampel steht auf Grün“ titelte das Format in diesem Jahr und spielte damit wohl auch auf den Regierungswechsel an – denn seitdem sind Wirtschafts-, Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in der Hand von Bündnis90/Die Grünen. Gleich zu Beginn rammte Dr. Ophelia Nick (Bündnis90/Die Grünen), Staatssekretärin Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, die thematischen Pflöcke ein. „Es dürfte uns allen klar sein, die planetaren Grenzen sind erreicht und teils sogar schon überschritten. Wir sind jetzt in der entscheidenden Dekade, in der wir es überhaupt noch in der Hand haben, den Klimawandel zu stoppen. Dazu brauchen wir die gesamte Agrar- und Ernährungswirtschaft an unserer Seite, sodass wir auch in diesem Sektor die Umwelt nicht mehr weiter überfordern.“ Nick bekräftigte das Ziel der Bundesregierung, dass 30 Prozent der Agrarflächen bis 2030 ökologisch bewirtschaftet werden sollen. Gleichzeitig machte sie deutlich, nicht die konventionelle gegen die ökologische Landwirtschaft ausspielen zu wollen oder umgekehrt. Selbst wenn die Bundesregierung das ambitionierte Ziel erreicht, werden ein Großteil der Lebensmittel konventionell erzeugt. Daher gelte es auch diesen Bereich konsequent weiter zu ökologisieren.
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Oberste Priorität: Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland
„Der Umbau der Nutztierhaltung ist eines der wichtigsten Themen in unserem Haus. Die Tierbestände müssen sich mehr an die Fläche anpassen. Von den Mengen an Tieren müssen wir runter“, erklärte Nick. Hohe Priorität habe eine verbindliche Tierhaltungs-Kennzeichnung – am liebsten auf EU-Ebene – , „damit Vebraucherinnen und Verbraucher auf einen Blick erkennen, auf welcher Weide oder in welchem Stall das Tier gestanden hat.“ In diesem Punkt seien zwei Vorgänger-Regierungen nicht weitergekommen.
Derweil hat der Handel selbst bei Schweinen Tatsachen geschaffen und die Haltungstufen 1 bis 4 auf den Markt gebracht. Allen voran sorgte der Discounter Aldi mit seiner Ankündigung bis 2030 nur noch Frischfleisch der Stufen 3 und 4 anzubieten für Aufsehen. Rewe und Lidl wollen gleichziehen, was am Ende nahezu einen kompletten Umbau der konventionellen Tierhaltung im laufenden Betrieb bedeutet. „Mit einer Notierung von 1,20 Euro schaffe ich keinen Wandel“, stellte Sarah Dhem, Präsidentin Bundesverband Deutscher Wurst- & Schinkenproduzenten, klar. Gemeint ist damit der Schlachtpreis pro Kilogramm Schwein, der um ein paar Cent um diese Marke pendelt. De facto fahren einige konventionelle Schweinemäster Verluste und sollen gleichzeitig in den Umbau ihrer Ställe investieren, weil Teile der Gesellschaft und des Handels mehr Tierwohl wünschen. Die Politik müsse den Königsweg finden, in den Markt regulierend einzugreifen und gleichzeitig den Handel mitzunehmen. „Wir brauchen schnell konkrete Regeln und Ziele, worüber wir schon ganz lange reden.“ Herstelen könne man letzten Endes jede gewünschte Qualität – es muss sich nur wirtschaftlich rechnen. Produkte aus Haltungsstufen 3 und 4 wären nun einmal teurer. Der Mehrwert müsse bei den Verarbeitern, Schlachtern und Landwirten auch ankommen. Man dürfe daher nicht zu jedem Preis liefern, „sonst gewinnen wir am Ende gar nichts.“
Stallhaltung: Entspricht den gesetzlichen Mindeststandards.
Stallhaltung Plus: Tiere haben etwas mehr Platz und auch Beschäftigungsmaterial. Kühe dürfen nicht angebunden sein.
Außenklima: Tiere haben Kontakt zum Außenklima (offene Stalltüren, Auslauf) und Gentechnik im Futter ist verboten.
Premium: Tiere haben tatsächlich Auslauf im Freien, auch hier ist Gentechnik im Futter verboten. Bio-Fleisch würde in diese Kategorie fallen. Wobei bereits der Mindeststandard EU-Bio strenger als Haltungsstufe 4 ist. So muss das Futter nicht nur gentechnikfrei, sondern aus ökologischer Landwirtschaft stammen. Noch weiter gehen die Richtlinien der Bio-Anbauverbände. Nach deren Richtlinien zertifizierte Fleisch- und Wurstwaren bilden eine echte Premiumstufe.
Noch dominieren bei konventionellem Fleisch die Haltungsstufen 1 und 2. Je nach Sparte des Fleischsortiments betrage der Anteil aus höheren Stufen etwa 15 Prozent, wie Robert Römer, Geschäftsführer Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung (bekannt durch das Label „Initiative Tierwohl“), mitteilte.
Noch nicht viel erreicht?!
Auch Herbert Dohrmann, Präsident Deutscher Fleischer-Verband, äußerte sich skeptisch. In den letzten zwei Jahren seien gute Konzepte entwickelt worden. Aber: „Wenn wir schauen, wie lange wir Tierwohl, Haltungskennzeichnung, Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und Regionalität diskutieren, dann sind wir so richtig keinen Schritt weiter gekommen.“ Auch beim Vorstoß von Aldi meldete er Zweifel an. „Ich finde es schlichtweg unredlich, wenn sich ein Discounter heute schon mit der Umstellung der Haltungsformen, die er 2030 gerne erfüllen möchte, in die Köpfe der Verbraucher implantiert, aber betont, dass der billigste Preis auch weiterhin die Kern-DNA des Unternehmens sein wird.“ Damit spielte er auf die Aussagen eines Aldi-Sprechers in einem Beitrag von Panorama mit dem Titel „Das Ende des Schnitzels?“ an. „Wenn es beginnend bei der Tiermast keine vernünftige Bezahlung gibt, kann das ganze System nicht funktionieren und wir entwickeln uns nicht weiter.“ Davon gelte es besonders den Handel als treibende Kraft zu überzeugen – schließlich sei dessen Macht groß.
Wer soll das bezahlen?
„Das bedeutet für uns, dass die Bauern mit Steuergelder investieren sollen, und am Ende ihres Engagements an der Waage auch weiterhin genauso klein gehalten werden, wie es heute gängige Praxis ist“, legte Dohrmann nach. Generell hält er wenig von speziellen Kennzeichnungen, man müsse sich nicht immer wieder mit neuen Labeln quälen. Wenn die Haltungsstufen 3 und 4 künftig das Maß der Dinge sein soll, solle dies entsprechend in Gesetzesform gegossen werden. „Dann profitieren alle Tiere und nicht nur die, die glücklicherweise im richtigen Maststall abgeladen worden sind.“ Via Chat der Onlinediskussion gab Thomas Dosch, Unternehmenskommunikation Tönnies-Gruppe, zu bedenken: „Wenn die Umstellung über das Ordnungsrecht vorgeschrieben wird, gibt es keine Fördermöglichkeiten für die landwirtschaftlichen Erzeuger. Erwirtschaftet das Fleischerhandwerk die Mittel für den Umbau der Ställe am Markt?“
Unlängst hatte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, jährlich vier Milliarden Euro für den Umbau der Tierhaltung speziell zum Finanzieren neuer „Tierwohl-Ställe“ gefordert. „Ohne Geld wird der Umbau nicht funktionieren“, sagte Nick – aber gleich vier Milliarden Euro pro Jahr? „An dieser Stelle möchte ich die Erwartungen erst einmal senken.“ Schließlich müsse man gut argumentieren, dass die Branche zusätzliches Geld aus Steuermitteln erhält, wo sie doch bereits etliche Subventionen bekommt. Ein unbürokratisches Mittel der Wahl den Umbau teilweise zu finanzieren, wäre eine Mehrwertsteuer von 19 Prozent auf Fleisch und Wurstwaren. Davor warnte allerdings Dohrmann. Dadurch würden „vorbildlich gelebte und dadurch kostenintensivere Modelle“ stärker belastet als billige Alternativen.
Für eine höhere Mehrwertsteuer sprach sich hingegen Dr. Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin Verband der Fleischwirtschaft, aus. Sie mahnte generell an, dass auch der Export weiterhin wirtschaftlich attraktiv bleiben muss. „Auch von jedem Bio-Schwein oder Bio-Rind werden die Füße nicht in Deutschland gegessen. Um die Werthaltigkeit und Wertschöpfung für jedes Tier so hoch wie möglich zu halten ist es notwendig, in Länder mit anderen Ernährungsgewohnheiten exportieren zu dürfen.“
Lobend erwähnte Dhem die Initiative Tierwohl, die es anders als die Politik geschafft habe, in der Breite eine Bewegung zu schaffen – und was sich bewege, ließe sich leichter weiter verändern. Vor sieben Jahren war die Initiative angetreten, die konventionelle Landwirtschaft besonders in Sachen Nutztierhaltung zu verbessern. Teilnehmende landwirtschaftliche Betriebe halten sich an höhere Anforderungen als die gesetzlichen Standards, dafür erhalten sie mehr Geld für ihre Ware. Schlachtstätten erfassen die Tiere gesondert, so dass das Fleisch nicht mit anderem vermischt wird. In Handel treffen Kundinnen und Kunden auf Fleischwaren mit dem Label der Initiative. „Jedes dritte Mastschwein und ungefähr 80 Prozent des Geflügels in Deutschland profitieren heute von den Maßnahmen, die wir gemeinsam mit den Wirtschaftsbeteiligten in der Initiative Tierwohl umgesetzt haben. Das war für alle Partner entlang den Wertschöpfungsketten ein unheimlicher Kraftakt“, so Römer. Als nächstes soll das System auf Rinder ausgeweitet werden. „Diesen Erfolg gelte es nicht durch weitere Initiativen zu gefährden. „Das gilt auch für die Haltungsformen, womit die Wirtschaft ein Orientierungssystem für die Verbraucher geschaffen hat.“ (Nachtrag 1. März 2022: Die Initiative Tierwohl hat entsprechende Kriterien für die Rinderhaltung geschaffen. Ab 15. März können sich interessierte Betriebe anmelden, wie agrarheute berichtet.)
Hinweis zur Transparenz
Das Frische Forum Fleisch wird von allgemeiner fleischer zeitung (afz) und Fleischwirtschaft.de veranstaltet – beides Formate aus der dfv-Mediengruppe. Sowohl für afz und Fleischwirtschaft.de berichte ich als freier Autor aus der Bio-Fleischbranche. Es gab keinen Auftrag über die Veranstaltung zu berichten, noch wurde redaktionellen Einfluss auf diesen Beitrag genommen.
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