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Slow Food in Fulda neues Leben eingehaucht

Seit diesem März ist Arthur Schulz erster Vorsitzender des Slow Food Conviviums Fulda, welches in den vergangen Jahren öffentlich kaum noch wahrgenommen wurde. Gemeinsam mit seinen Mitstreiter*innen obliegt ihm die Aufgabe, das Convivium wieder nachhaltig zu beleben. Dazu soll es angesichts drängender Umweltprobleme künftig auch auf lokaler Ebene politischer werden, denn Slow Food sei mehr als Feinkost und teure Weine, wie er im Interview verrät.

Archivbild: Arthur Schulz beim Plastikfrei-Workshop.
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Jens Brehl: Das Slow Food Convivium Fulda wurde 2008 gegründet und bis Frühjahr dieses Jahres vom Bio-Landwirt Christof Gensler geleitet. Von außen betrachtet war es seit längerem extrem ruhig geworden, mit öffentlichen Aktionen ist vor allem die örtliche Jugendgruppe Slow Food Youth in Erscheinung getreten. Was sind die Hintergründe und wie möchten Sie das Convivium Fulda wieder voranbringen?

Arthur Schulz: Christof Gensler hatte leider nicht so viele Mitstreiter und stand oft mehr oder weniger alleine da. Bei den Mitgliedern gab es zu wenig Resonanz aktiv zu werden, hinzu kamen die vielen täglichen Verpflichtungen auf seinem Bauernhof. Das Convivium Fulda war daher eingeschlafen.

Auch aus diesem Grund haben wir den Vorstand auf drei Mitglieder erweitert. Das Team besteht aus Kornelia Eibeck, Valeria Eckardt und mir. Zudem kooperieren wir enger mit Slow Food Youth Fulda. Gemeinsam können wir eine breite Zielgruppe ansprechen und zum Mitmachen motivieren.

Jens Brehl: Welche konkreten Aktionen sind geplant, um Slow Food in Fulda bekannter zu machen?

Arthur Schulz: Natürlich ist auch uns Corona in die Quere gekommen. Ein erstes Auftakttreffen fand jedoch Ende September mit einem Barbecue auf Christof Genslers Hof statt. Letzten Sonntag waren wir zum Rhönschaf-Lamm-Essen in der bio-zertifizierten Dorfstube in Gersfeld-Rengersfeld zu Gast – das Rhönschaf ist Arche-Passagier. Das Projekt „Arche des guten Geschmacks“ der Slow Food Stiftung schützt zum Erhalt der Biodiversität weltweit regional bedeutsame Lebensmittel, Nutztierarten, Kulturpflanzen sowie traditionelle Zubereitungsarten vor dem Vergessen und Verschwinden.

Darüber hinaus haben wir den zweimonatlichen Schnecken-Stammtisch ins Leben gerufen. Am 2. Dezember treffen wir uns zu einem Adventsessen im Restaurant Ritter in Fulda. Dort möchten wir ein gemeinsames Fundament für unsere weitere Arbeit schaffen und festlegen, in welche thematischen Richtungen wir uns wenden. Das neue Gesamtkonzept wollen wir im Frühjahr 2021 öffentlich präsentieren.

Jens Brehl: Seid Ihr lediglich die „Besser-Esser“, die sich hochwertige und teure Lebensmittel leisten können oder gibt es angesichts drängender Umweltprobleme – Klimakrise, Rückgang der Artenvielfalt, Verlust fruchtbaren Ackerbodens – Ambitionen auf die Lokalpolitik in unserer Region Einfluss zu nehmen?

Arthur Schulz: Slow Food lässt sich keineswegs auf Feinkost und teure Weine reduzieren. Vielmehr sind wir eine Bewegung zu mehr Bodenständigkeit: zurück zu echten, frischen Urprodukten und deren Erzeuger. Im Kern steht kein Schicki-Micki, sondern Selbstversorgung. Auch mit kleinem Geldbeutel lassen sich qualitativ hochwertige Lebensmittel bei regionalen Produzenten erwerben: einen Sack Getreide zum Brot backen, Rohmilch zum Selbst-Abkochen oder für Fleischliebhaber etwa ein halbes Schwein zum Selbstzerlegen. Auch bei unseren Gastronomie-Empfehlungen grenzen wir uns von Essen als Prestige-Objekt ab. Es ist uns wichtig, dass sich auch der Durchschnittsverdiener gute Lebensmittel leisten kann. Gutes Essen darf nicht zum Statussymbol werden, wie der Gründer der internationelen Slow Food Bewegung, Carlo Petrini, treffend sagt.

Mit den genannten Umweltproblemen beschäftigt sich die Slow Food Bewegung seit einigen Jahrzehnten auf Bundesebene und in Bezug auf EU-Politik. Wir fordern überregional, wie auch lokal eine Ernährungswende hin zu erschwinglicheren ökologisch und fair angebauten Lebensmitteln. Landwirtschaft in ihrer jetzigen Form ist einer der bedeutendsten Faktoren in Bezug auf Umweltprobleme, den Klimawandel eingeschlossen. Hier müssen andere politische Weichen gestellt werden, die auch über die jetzige Definition von bio hinausgehen. Und vor allem: Nachhaltige Lebensmittel sollten für alle verfügbar sein, auch für Bezieher von sozialen Leistungen. Hier ist noch viel Umdenken nötig, darauf wollen wir konkret hinarbeiten und auf ein größeres Bewusstsein und Wertschätzung für nachhaltige und lokale Landwirtschaft in der Bevölkerung und Politik bewirken.

Jens Brehl: Bislang hatte Slow Food Fulda lokale Politiker und regionale politische Entscheider noch nicht speziell adressiert. Wie möchten Sie dieser Zielgruppe mehr Bewusstsein für die ökologische Landwirtschaft näher bringen? Geht es Ihnen dabei um grundsätzliches Vermitteln von Informationen oder gibt es auch konkrete politische – und damit auch messbare – Forderungen?

Gesellschaftlicher Wandel geht nicht im Hauruck, sondern ist ein Umdenkprozess, der Zeit braucht. Zuerst muss das Bewusstsein in der Bevölkerung vorhanden sein, damit sich die Politik ändert – das ist im Bereich Essen und Landwirtschaft noch nicht wirklich der Fall. Zentrale Werte der Slow Food Bewegung lassen sich nicht so einfach wie den Ausbau von Fahrradwegen fordern. Die Zusammenhänge sind komplexer und dafür gilt es zunächst einen fruchtbaren Nährboden für Veränderungen in der Region Fulda zu schaffen. Dies gelingt uns nur mit vielen verbündeten Gruppen, die auch unsere Ziele verfolgen. An dieser Schnittstelle kann ich mir gut vorstellen, dass wir uns zukünftig auch an gemeinsamen Stellungnahmen an die lokale Politik beteiligen. Bis dahin sehen wir unsere Aufgabe darin zu vermitteln, dass Umweltschutz bei Slow Food Spaß macht und die Welt sich quasi mit Genuss retten lässt: Messer und Gabel sind wichtige Stimmzettel.

Jens Brehl: Nicht zuletzt durch Fridays for Future (FFF), wovon es in Fulda eine recht aktive Ortsgruppe gibt, ist die Klimakrise verstärkt ins mediale und öffentliche Bewusstsein gerückt. Inwieweit profitiert Slow Food hier vor Ort von der Debatte?

Arthur Schulz: Dank der guten Vorarbeit müssen wir zur Bedeutung des Klimawandels selbst nicht mehr viel erklären. Die Menschen, die wir ansprechen, sind in diesem Punkt meistens gut informiert. Wir von Slow Food können dazu passend das Thema ökologisch nachhaltige Ernährung bieten und konkrete Empfehlungen dazu für den Alltag geben.

Bisher arbeiten wir Ort noch nicht offiziell zusammen. Allerdings stehe ich in gutem Kontakt mit den Nachhaltigkeitswochen, deren Hauptorganisatoren die Akteure von FFF sind. Gemeinsame Schnittmengen gibt es genug. Auch Foodsharing Fulda widmet sich mit dem Retten von Lebensmitteln einem auch für uns wichtigen Aspekt: Lebensmittel wertschätzen und nicht in den Müll werfen. Insgesamt ergänzen sich die unterschiedlichen Gruppen recht gut.

Archivbild: Zeit für anregende Gespräche fand Arthur Schulz auch während der Schnippeldisko im Auegarten.
Bild: Jens Brehl –
CC BY-NC-SA 4.0

Jens Brehl: Von Dezember 2012 bis Februar 2020 haben Sie Slow Food Youth in Fulda geleitet und damit auch an vielen Veranstaltungen mitgewirkt. Bei welchen Themen gab es besonders viel Zuspruch?

Arthur Schulz: Es gab mehrere wegweisende Veranstaltungen, mit denen wir besonders viele Menschen erreichen konnten: 2012 war es die Filmvorstellung “Taste the Waste” mit Filmemacher Valentin Thurn, und einer anschließenden dreitägigen Workshop-Reihe zum Thema “Teller statt Tonne”. Damit hatten wir einen echten Trend angestoßen: Kurz darauf gründete sich in Fulda eine Foodsharing-Gruppe und es gab dann den an der Hochschule Fulda den ersten Foodsharing-Kühlschrank an einer Hochschule in Deutschland. Passend zum Thema waren unsere später folgenden Schnippeldiskos echte Renner, die viel ins Rollen gebracht haben. Im Februar 2018 hatte Anneliese Bunk, Autorin von „Besser Leben ohne Plastik“, einen Vortrag gehalten.

Die Resonanz war so groß und positiv, dass wir zwei Monate später einen dreitägigen Workshop zum Thema organisiert hatten. Aus dieser Workshopreihe heraus hatten sich die Fachschaftsräte von Sozial- und Kulturwissenschaften und Oecotrophologie mit uns zusammengeschlossen. Mit Studierenden aus weiteren Fachbereichen und dem AStA riefen wir im Winter 2018 unsere erste Nachhaltigkeitswoche auf dem Campus ins Leben, die eine viel breitere Vielfalt an Umweltthemen mit unterschiedlichen Veranstaltungen auf dem Campus und innerhalb der Stadt Fulda bot.

Wir hoffen auch weiterhin wichtige Inspirationen und Akzente jetzt auch generationenübergreifend in der Stadt Fulda und der Region zu setzen.

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