Bio? Logisch!

Rinder Match: Die ökologische Landwirtschaft und die passende Milchkuh

Früher gaben seine Kühe durchschnittlich 7.500 Liter Milch im Jahr, heute sind es nur noch 6.000 bis 6.500 Liter. Für den Landwirt Siegfried Meyer aus dem bayerischen Opfenried ist dies dennoch ein richtiger Schritt nach vorne. Seitdem er 1988 seinen Betrieb auf biologisch-dynamische Wirtschaftsweise umgestellt hatte, liegt sein Fokus stark auf langlebige, robuste und gesunde Tiere. Die ökologische wie wirtschaftliche Rechnung geht für ihn auf. Allerdings widmet sich die Rinderzucht mehrheitlich einseitiger Hochleistungen entweder auf Milch oder Fleisch in der intensiven konventionellen Tierhaltung. Für die ökologische Landwirtschaft ist dies ein Problem.

Auf Meyers Hof sind stets 35 bis 40 Milchkühe inklusive Nachzucht zu finden, seit zehn Jahren wachsen die Kälber kuhgebunden auf. Sie bleiben nach der Geburt drei Tage bei der Mutter, danach geht es in den „Kindergarten“, morgens und abends zur Melkzeit schauen die Mütter vorbei. „Kühe geben zuallererst Milch für die Kälber, danach kommen wir“, erklärte Meyer in einer Diskussionsrunde auf der diesjährigen Biofach. Seine Tiere ernährt er mit 85 bis 90 Prozent Grundfutter, was 22 Hektar Dauergrünland und Kleegras vom Acker liefern. Den Speiseplan ergänzen unter anderem Triticale oder Wintererbsen, welche Meyer im Zuge der Fruchtfolge anbaut. Um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten, kann er nicht nur Marktgetreide produzieren. Damit bietet er einen nahezu geschlossenen Betriebskreislauf, da er lediglich Mineralfutter zukauft. „Letztendlich halte ich so viele Tiere, wie meine Flächen als Futter hergeben.“ Sein Bio-Hof ist ein Musterbeispiel eines extensiv wirtschaftenden Betriebs, wie man sie in der ökologischen Landwirtschaft immer wieder antrifft, den aber der Großteil der Rinderzucht gar nicht im Fokus hat.

Keine ökologische Rinderzucht und „wertlose“ Tiere

Damit Landwirte wie Meyer auf diese Art wirtschaften können, benötigen sie an die jeweiligen Standorte angepasste, robuste Tiere, die genetisch nicht auf Höchstleistungen getrimmt sind und dafür in der Regel viel Kraftfutter benötigen. Bio habe in der Milchviehhaltung einen Anteil von fünf Prozent, schätzte Carsten Scheper von der Ökologischen Tierzucht (ÖTZ). In der gesamten Rinderhaltung seien es 7,6 Prozent, wie Annika Bromberg, Koordinatorin des Tierzuchtfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, angab. Daher seien für diese Form der Landwirtschaft geeignete Tiere nicht die Hauptziele der Zuchtprogramme, es gäbe keine gezielte ökologische Rinderzucht. Das Gros der konventionellen Betriebe seien entsprechend intensiv geführt: Milchleistungen im Durchschnitt von 9.600 Litern pro Jahr benötigt einen entsprechend hohen Anteil von Kraftfutter wie Soja. Dabei liegt die Stärke von Kühen ursprünglich unter anderem darin, für Menschen nicht verwertbares Gras in Milch und Fleisch umzuwandeln.

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Frigga Wirths, Fachreferentin Tiere in der Landwirtschaft im Deutschen Tierschutzbund mahnte eindringlich die mit Hochleistungsrassen verbundenen Probleme an. „Die Kühe sind nach zwei bis drei Laktationen fertig und gehen zum Schlachter, drei bis fünf Prozent der Tiere verendet bereits auf dem Hof. Das halte ich für eine sehr hohe Quote. Zwei Prozent der an den Schlachthof gelieferten Tiere werden entsorgt, weil sie nicht mehr für die Lebensmittelnutzung geeignet sind.“ Sprich, sie sind ausgelutscht und klapperdürr. Die Tiere seien genetisch so angelegt, dass sie die durch das Futter gelieferte Energie in die Milchproduktion pumpen und weniger in den Aufbau von Körpermasse investieren.

Ein großes Problem der einseitig auf eine hohe Milchleistung gezüchteter Rinder sind die männlichen Kälber. Sie eignen sich nicht für die Mast, weil sie zu wenig Fleisch ansetzen und sind entsprechend wirtschaftlich wertlos. Jährlich kämen in Deutschland zwei Millionen solcher Kälber auf die Welt, die laut Wirths im vergangen Jahr teils für zehn Euro „verhökert“ wurden. Jedes Jahr würden 600.000 Tiere im Export landen. „Man denkt lieber nicht daran, was im Ausland mit ihnen passiert. Anstatt Milch- und Fleischrassen zu halten, wären nicht Zweinutzungsrassen sinnvoller?“ Dies sei eine provokante Frage, aber durchaus überlegenswert.

Eigene Rinderzucht auf Zweinutzung

Der Deutsche Tierschutzbund fordert daher eine Abkehr von einseitiger Zucht auf Höchstleistungen bei Milchproduktion oder in der Mast, sondern sieht die Lösung in ausgeglichenen Zweinutzungsrassen. Diesen Weg ist auch Meyer gegangen, nachdem er mit Holstein-Friesian in der Gesamtbetrachtung unzufrieden war. Die Tiere geben zwar 1.500 Liter mehr Milch im Jahr, aber größtes K.-o.-Kriterium in Meyers Augen sind die nicht zur Mast geeigneten männlichen Kälber. Daher setzt der Demeter-Landwirt auf die Zweinutzungsrasse Fleckvieh. Nach fünf Wochen kann er die männlichen Kälber für 500 bis 600 Euro verkaufen. „Sie haben auch wirtschaftlich einen echten Wert und werden entsprechend wertgeschätzt.“ Für einen Milchbauern eher ungewöhnlich, freut er sich über männlichen Nachwuchs – denn dies könnte der nächste Zuchtbulle auf dem Hof sein. „Ab der Geburt haben wir alles im Blick. Ich erwarte von der Kuh, dass das Kalb ohne Hilfe zur Welt kommt, sonst ist es kein Zuchtbullenkalb für mich. Wichtig ist zudem, dass es nach drei Stunden an der Kuh säuft, vital ist und auch der Sozialkontakt gut funktioniert.“ Schon vor zwanzig Jahren hat er mit der Zucht auf dem eigenen Betrieb begonnen, was zunächst kaum von Erfolg gekrönt war.

Erst die gezielte Hilfe der biologisch-dynamischen Beratung durch Demeter half ihm, passende Zuchtbullen auszuwählen. Von künstlicher Besamung hält er nichts, sondern setzt lieber auf natürliche Prozesse. In neun von zehn Fällen, kommen die eigenen Zuchtbullen zum Zug. Auch um Inzucht zu vermeiden, setzt er externe Besamungsbullen ein, wobei Meyers erster Blick auf den ökologischen Gesamtzuchtwert (ÖZW) des Tieres fällt. Dies ist eine Art Index, der beispielsweise Ausdauer und Langlebigkeit bewertet. „Die Milchleistung von 6.000 bis 6.500 Liter Milch im Jahr zu halten und züchterisch keinen Druck auf meine Kühe auszuüben, ist mein Ziel.“ Ausdrücklich betonte der Landwirt, dass seine Kühe unter den gegebenen natürlichen Umständen hohe Leistungen bringen. Diese seien erst dann ein Problem, wenn die Gesundheit der Tiere darunter leide, machte Wirths klar. „Im letzten Quartal waren die Tierarztkosten für die Katzen höher, als für die Kühe. Diese niedrigen Kosten sind bei uns nicht ungewöhnlich. In den letzten zehn Jahren habe ich im Euterbereich keine Antibiotika mehr eingesetzt, und bekomme alles homöopathisch in den Griff“, ergänzte Meyer.

Bald keine Öko-Tiere mehr?

„Jeder Betrieb muss prüfen, welche Rassen zu seinem Standort passen“, machte Wirths deutlich. Hochleistungstiere, die unter intensiven konventionellen Bedingungen 9.600 Liter Milch im Jahr geben, hätten in der ökologischen Landwirtschaft allerdings nichts verloren. „Es ist unmöglich, diese Tiere mit hohem Anteil an Grundfutter und wenig Kraftfutter wirklich gesund zu halten.“ Eine klare Öko-Absage erteilte sie der Fleischrasse Weißblaue Belgier, da die Kälber aufgrund ihrer Größe nur noch durch Kaiserschnitte geboren werden könnten, was der EU-Öko-Verordnung widerspricht (siehe Infokasten). „Wenn ich Tiere nur noch durch einen Kaiserschnitt zur Welt bringen kann, ist das ein Kriterium für Qualzucht.“ Mit den Kreuzungstieren kämen Bio-Betriebe zwar gut zurecht, aber irgendwo würden ja die reinrassigen Verwandten gehalten, gab sie zu bedenken.

EU-Öko-Verordnung in Sachen Rinderzucht in der Kritik
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Die EU-Öko-Verordnung und die in Details strengeren Richtlinien der Anbauverbände blieben in Sachen Wahl der Rassen vage, wie Scheper kritistierte „Es findet sich wenig dazu, wie ein Bio-Betrieb eine gute Zucht betreiben kann.“ Entsprechend wenig Beratung gäbe es. Vereinzelt rückten in den Zuchtprogrammen wieder die Lebensleistung in den Fokus, aber das müsse deutlich mehr werden. Viel zu oft kämen rein technische Lösungen zum Einsatz, wie das Spermasexing bei der künstlichen Befruchtung. Damit sollen möglichst nur weibliche Kälber zur Welt kommen, Zweinutzungsrassen zu züchten sei dann unnötig. „Diese Entwicklung wird vorerst so weitergehen und wir müssen uns die Frage stellen, ob der Bio-Bereich dermaßen stark auf die Zucht einwirken kann, dass es künftig auch andere Lösungen geben wird“, sagte Scheper und führte weiter aus: In der ökologischen Landwirtschaft sei zu recht der Embryotransfer verboten. In solch einem Fall wird eine Kuh mit Hormonen behandelt und künstlich befruchtet. Ist der Vorgang erfolgreich, nisten sich mehrere Embryonen ein. Diese werden ausgespült und anschließend anderen Kühen eingepflanzt, was im besten Fall einen schnellen Zuchtfortschritt mit sich bringt. Diese Technik sei im Öko-Bereich der Kundschaft allerdings nicht vermittelbar. Demeter ist besonders streng und verbietet sogar den Einsatz von Tieren aus Embryotransfer in der hofeigenen Zucht – auch in der künstlichen Besamung. „Auf der einen Seite entwickeln sich Zuchtprogramme in einem sehr konventionellen und technischen Bereich, auf der anderen schließt ein Anbauverband eine bestimmte Technik vollkommen aus. Dies kann dazu führen, aus einem Zuchtprogramm gar keine Bullen mehr selektieren oder überhaupt noch eine bestimmte Genetik einsetzen zu können.“

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Auszug EU-Öko-Verordnung

„Bei der Wahl der Rassen oder Linien bevorzugen die Unternehmer möglichst Rassen oder Linien mit hoher genetischer Vielfalt, unter Berücksichtigung ihrer Anpassungsfähigkeit an die örtlichen Bedingungen, ihres Zuchtwertes, ihrer Langlebigkeit, ihrer Vitalität und ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten oder Gesundheitsproblemen, ohne dass dadurch ihr Wohlbefinden beeinträchtigt wird. Darüber hinaus müssen die Rassen oder Linien so ausgewählt werden, dass bestimmte Krankheiten oder Gesundheitsprobleme vermieden werden, die für einige intensiv gehaltene Rassen oder Linien typisch sind, wie Stress-Syndrom der Schweine, das möglicherweise zu PSE-Fleisch (pale-soft-exudative = blass, weich, wässrig) führt, plötzlicher Tod, spontaner Abort und schwierige Geburten, die einen Kaiserschnitt erforderlich machen. Einheimischen Rassen und Linien ist der Vorzug zu geben.“

Dann doch lieber zurück zur hofeigenen Zucht? „Einige Bio-Landwirte versuchen mit der kuhgebundenen Kälberaufzucht Lösungen zu finden. Diese Erfolgsbeispiele gibt es, auch wenn sie keine große Breitenwirkung haben.“ Anders als bei Geflügel ist die ÖTZ im Bereich der Rinder nicht selbst in der Zucht von Zweinutzungsrassen aktiv und dies sei auch nicht absehbar. „Es gibt in allen Rinderrassen für die ökologische Landwirtschaft geeignete Tiere. Bei Holstein-Friesian wird die Zahl allerdings geringer. Die Zuchtprogramme entwickeln sich in eine Richtung, so dass extensiv arbeitende Betriebe irgendwann keine geeigneten Tiere mehr finden werden“, gab Scheper zu bedenken. Hierzulande haben Holstein-Rinder einen Anteil von 44 Prozent in der Milchviehhaltung, wie Bromberg anmerkte.

Kundschaft kein Katalysator für ökologische Zucht

„Kunden haben von Landwirtschaft weitgehend keine Ahnung. Ihnen ist es emotional wichtig, dass es den Tieren gut geht. Aber die Menschen können meistens nicht sagen, was sie sich darunter vorstellen“, meldete sich Dr. Manon Haccius von der Alnatura Produktions- und Handels GmbH zu Wort. Bis Ende 2020 verantwortete sie den Bereich Qualitätsmanagement, heute ist sie in der Mitarbeiterentwicklung tätig. Die studierte Agrarwissenschaftlerin schloss ihre Promotion im Fachgebiet Tierzucht 1986 in Kiel ab und damals wie heute seien in Sachen ökologischer Rinderzucht die Fragen in weiten Teilen die gleichen. „Als Handelsunternehmen nähern wir uns dem Thema, indem wir ausschließlich mit bei Anbauverbänden organisierte Molkereien zusammenarbeiten.“ Vornehmlich nannte sie Demeter, Bioland und Naturland. Damit verbunden sei die Hoffnung, dass wiederum die einem Verband angeschlossenen Bäuerinnen und Bauern ganzheitlicher an die Thematik herangingen.

Sieht die Anbauverbände in der Pflicht für mehr Tierwohl in der Milchviehhaltung: Dr. Manon Haccius
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

„Über Jahre habe ich versucht, den Anbauverbänden in Sachen Tiergesundheit in der Milchviehhaltung näher zu kommen. Das war damals noch nicht möglich. Vielleicht muss man das erneut in Angriff nehmen und überlegen, wie man Parameter entwickeln kann, um den Komfort der Tiere auf den Bio-Bauernhöfen noch besser greifen und bewerten zu können.“ Am Ende sei alles auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit, vor allem da die meisten Betriebe hauptsächlich von der Milch leben. Landwirte wie Siegfried Meyer, die auch ihre männlichen Kälber zu einem guten Preis verkaufen und damit einen Teil ihres Einkommens erzielen können, seien eher die Ausnahme. „Da haben wir alle gemeinsam noch einige Aufgaben vor uns.“

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