Die Vorteile von regionalem Bio-Weiderindfleisch liegen auf der Hand: kurze Transportwege, Transparenz, Tierwohl und mehr Grund- statt Kraftfutter. Das im Februar 2020 in Berlin gestartete Projekt GanzTierStark hatte sich zur Aufgabe gemacht, Bio-Weiderindfleisch in öffentlichen wie betrieblichen Kantinen in Berlin und Brandenburg zu etablieren. Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin, hatte es mit initiiert, betreut es wissenschaftlich und zog in einer Podiumsdiskussion mit weiteren beteiligten Akteuren auf der diesjährigen Biofach eine Zwischenbilanz.
Die Umstände hätten besser sein können. Kurz nach dem Start von GanzTierStark begann die Corona-Pandemie, Kantinen waren zeitweise geschlossen oder deren Betrieb (stark) eingeschränkt. In diesem Jahr brachte der russische Angriffskrieg in der Ukraine enorm gestiegene Energiekosten wie eine hohe Inflation mit sich, entsprechend angespannt ist die hiesige Wirtschaftslage. Dennoch ließen sich bislang 33 Bio-Weiderinder vermarkten, deren Fleisch in der taz Kantine, den fünf Kantinen des Studentenwerks Frankfurt/Oder, beim GLG Werner Forßmann Klinikum Eberswalde, in der Betriebsgastronomie der Berliner Stadtreinigung, dem Kulturcatering Berlin und in der Kita Mariä Himmelfahrt in Kladow auf die Teller kam. Die Bandbreite von kleiner Küche bis Großkantine mit den unterschiedlichen Gästestrukturen und deren jeweils anderen Ansprüchen sei laut Schäfer für das Projekt vorteilhaft, aber auch herausfordernd gewesen.
Wurden im ersten Quartal 2020 noch 423 Kilogramm abgefragt, waren es im zweiten Quartal 2022 bereits 1.783 Kilogramm. Als regional gilt ein Umkreis von 200 Kilometer um den Berliner Funkturm und innerhalb Deutschlands. Die erlaubte Entfernung ist dem seit 2017 zu Danish Crown gehörenden Schlachthof in Teterow (Mecklenburg-Vorpommern) geschuldet. Gäbe es näher liegende Schlachtstätten, hätte man den Kreis enger schließen können. „Bei 95 Prozent der Lieferungen wurden die Bedingungen eingehalten“, erklärte Schäfer. So gäbe es Ausnahmesituationen, wenn beispielsweise ein Rind aufgrund von großer Nässe nicht von der Weide geholt werden kann.
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Mut zu Bio gefasst
Torsten Kleinschmidt, beim Studentenwerk Frankfurt/Oder zuständig für Produktentwicklung und Einkauf, konnte dem Zwangsstopp durch die Corona-Pandemie auch etwas Gutes abgewinnen. Nun waren Zeit und Raum für neue Ideen vorhanden. Zuvor hatte das Alltagsgeschäft zu sehr dominiert: Vor der Pandemie kochten zwei große Mensen täglich bis zu 2.500, die kleinen zwischen 500 bis 800 Mahlzeiten. Beste Basis für den Bio-Weg waren die bereits bestehenden Einkaufsrichtlinien des Deutschen Studentenwerks. Diese verpflichten zumindest auf dem Papier vorzugsweise faire, regionale und saisonale Zutaten zu verwenden und Produkte aus ökologischer Erzeugung sowie artgerechter und bestandsschonender Haltung einzukaufen. „Das wurde allerdings bei uns nicht so gelebt. Der Wunsch ist das eine, es in die Praxis umzusetzen das andere“, erklärte Kleinschmidt. Bio-Lebensmittel hätten lediglich einen Anteil von etwa drei Prozent gehabt. Erwartungsgemäß fragten die Studierenden an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde verstärkt nach der Herkunft der Lebensmittel und wie sie erzeugt wurden. „Ein Stück weit getrieben und gefordert zu sein, ist hilfreich.“ Kartoffeln, Reis, Kaffee stammen nun vollständig aus ökologischer Landwirtschaft, wie auch das Rindfleisch – wobei ausschließlich Weiderindfleisch verarbeitet wird. „Wir fahren da eine klare Linie.“ Ein Fünftel der am Standort Eberswalde eingesetzten Lebensmittel sind bio, an den anderen haben sie einen Anteil von 15 bis 17 Prozent – bis spätestens 2024 sollen es überall 20 Prozent sein. Wille und Wunsch auch Schwein und Geflügel auf bio umzustellen ist vorhanden, man müsse sich allerdings an der Machbarkeit orientieren: Ware muss verfügbar sein und der Preis stimmen.
Damit die Kalkulation aufgeht, hieß es auch die Fleischeinwaage anzupassen und den Anteil an Gemüse und Beilagen zu erhöhen. Klassisch kam beispielsweise Krautgulasch zum Zug, die arabische Küche diente ebenso als Vorbild, in der Bulgur und Rindfleisch zusammenfinden. „Wir haben Sonnenblumenkerne und Hafer hinzugegeben.“ Auch Leber und Zunge hatten wieder einen Weg auf den Speiseplan gefunden, schließlich bestehen Rinder nicht ausschließlich aus Filet. Zu Beginn des Projekts GanzTierStark stand das Verarbeiten des ganzen Tieres verstärkter im Fokus, wie der Name bereits ahnen lässt. Hier nimmt der Verarbeiter Biomanufaktur Havelland aus dem brandenburgischen Velten den Druck raus, der übrig gebliebene Teilstücke anderweitig vermarkten oder in der Wurstproduktion nutzen kann. „Für die Kantinen war es ein Lernprozess, dass bei regionaler Herkunft nicht jedes Teilstück und jede Menge immer kurzfristig verfügbar ist. Zu den vorherigen Bestellgewohnheiten ist das ein großer Unterschied“, merkte Schäfer an.
Kleinschmidt gab zu, sich ohne das Projekt wohl eher nicht zugetraut hätte, bei Rindfleisch konsequent auf Bio zu setzen. Sehr hilfreich war der organisierte Rezept- und Erfahrungsaustausch unter den Beteiligten, wie auch die zahlreichen durch das Projekt initiierten Werbeaktionen. Als besonders effektiv hätten sich die Exkursionen zu den Erzeugern erwiesen, zu denen das Studentenwerk Frankfurt/Oder neben den Köchinnen und Köchen auch das interessierte Verkaufspersonal eingeladen hatte. Schließlich steht es täglich im direkten Dialog mit der hungrigen Kundschaft. „Die Preisfrage war in dem Moment vom Tisch, als die Küchenleiter gesehen haben, wie die Rinder leben. Der hohe Wert des Fleisches wurde nicht mehr in Frage gestellt“, freute sich Schäfer. Im Projekt sind ausschließlich landwirtschaftliche Bio-Betriebe eingebunden, die einem Anbauverband angehören, deren Richtlinien in Teilen strenger als die EU-Öko-Verordnung sind.
Finanzieller Mehrwert für die Erzeuger?
Einer davon ist das nach Bioland-Kriterien wirtschaftende und 3.300 Hektar umfassende Gut Temmen aus dem brandenburgischen Temmen-Ringenwalde. Es ist Heimat für 650 bis 700 Mutterkühe, die Internetseite berichtet von insgesamt etwa 1.500 Rindern – alle leben ganzjährig auf der Weide. Damit gehört das Gut zu den großen Bio-Betrieben. „Uns geht es in erster Linie nicht darum, mehr am Weiderind zu verdienen. Wir haben keinen höheren Absatz oder finanziellen Mehrwert“, erklärte Ruven Hener, stellvertretender Leiter des Bereichs Rinder. „Wir produzieren in solch großen Mengen, dass wir wenig direkt vermarkten. Letztendlich wissen wir nicht, wo unsere Rinder landen.“ Somit war das Projekt GanzTierStark eine Initialzündung, stärker mit regionalen Akteuren zusammenzuarbeiten und neue Absatzmärkte zu bedienen. Gerade bei Bio-Rindfleisch müsse der Absatz generell weiter steigen, denn noch immer landen ein großer Teil der Kälber aus ökologischer Tierhaltung in der konventionellen Mast, wie Hener anmerkte. Die deutsche Bio-Kundschaft kauft mehr Milch als Rindfleisch. Auch dem Gut Temmen sei es erst seit ein paar Jahren möglich, seine Kälber ausschließlich an ökologisch wirtschaftende Betriebe zu veräußern. „Vorher war der Markt nicht vorhanden.“
Bio immer noch sperrig
Die Außer-Haus-Verpflegung könnte sich als ein Hebel erweisen, wobei hier Bio nach wie vor eine untergeordnete Rolle spielt. Laut einer Marktstudie des Bundesprogramms Ökologischer Landbau haben dort Bio-Lebensmittel im Wareneinkauf einen Anteil von lediglich 1,3 Prozent: 0,5 Milliarden Euro von insgesamt 37,6 Milliarden Euro.
Auch Kleinschmidt war überrascht, wie erklärungsbedürftig Bio bei den eigenen 150 Mitarbeitenden immer noch ist, die teils skeptisch sind. „Schließlich haben die vorher schon gute Arbeit geleistet und jetzt sagen wir ihnen, dass sie anders vorgehen sollen“, zeigte er Verständnis. Die Kommunikation zu vereinfachen kann nach hinten losgehen. Das Argument vom Bio-Steak bliebe in der Pfanne mehr übrig, weckte bei dem einen oder anderen den Ehrgeiz, das Gegenteil zu beweisen. Allen, die Studierenden eingeschlossen, gelte es nahe zu bringen, dass regionales Bio das neue Normal werden soll. „Wir möchten die Wertschöpfungsketten bei uns vor Ort“, bekräftige Kleinschmidt und möchte das ökologisch nachhaltige Wirtschaften weiter ausbauen: Weg von der Just-in-time Lieferung und dank des vorausschauenden Speiseplans mehr im eigenen Kühlhaus lagern. Ziel: weniger LKWs auf den Straßen.
Angesichts der schwierigen Umstände seit Projektbeginn mit Pandemie und anschließender hoher Inflation, zeigte sich Schäfer mit dem bisher Erreichten zufrieden, auch wenn in ihrer Stimme durchaus eine leichte Enttäuschung mitschwang. Die geplanten Absatzmengen wurden nicht erreicht und es ist nach Projektstart keine weitere Kantine hinzugekommen. Daher warb sie eindringlich um weitere Mitstreiter. Das vom Bundesprogramm ökologischer Landbau geförderte Projekt endet am 31. Januar 2023. Es wird sich zeigen, ob die bisher beteiligten Kantinen bei 100 Prozent Bio-Weiderindfleisch bleiben und weitere regionale Akteure Wertschöpfungsketten bilden. Indes kündigte Schäfer nach Projektende eine öffentlich einsehbare wissenschaftliche Evaluation an. Schon jetzt stehe außer Frage, leuchtende Beispiele etabliert zu haben. „Wenn ein Studentenwerk und ein mit seinen Regelsätzen in der Beschaffung eingeschränktes öffentliches Unternehmen wie die Berliner Stadtreinigung es wirtschaftlich schaffen, gibt es für andere Kantinen keine Ausreden mehr sich Bio nicht leisten zu können.“
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