Am 31. Mai endete das im Februar 2020 gestartete Projekt GanzTierStark, welches in Brandenburg und Berlin regionales Bio-Weiderindfleisch in Kantinen und Mensen gebracht hat, offiziell. Die Wertschöpfungskette ist erfolgreich etabliert, die beteiligten Großküchen – Studentenwerk Frankfurt/Oder, Berliner Stadtreinigung, GLG Werner Forßmann Klinikum Eberswalde, Tageszeitung taz und Kindertagesstätte Mariä Himmelfahrt in Kladow – machen auch nach Projektende weiter.
Im Projektverlauf fanden nach Angaben des beteiligten Verarbeiters Biomanufaktur Havelland aus dem brandenburgischen Velten 15 Tonnen Bio-Weiderindfleisch den Weg in die Kantinen. Beim Küchenpersonal beliebt waren vor allem gewolftes Rindfleisch, Zungenstück, Gulasch, Geschnetzeltes und Rouladen. Wie der Projektname erahnen lässt, stand das Verwerten des ganzen Tieres von Anfang an im Fokus. Hier nahm die Biomanufaktur Havelland den Druck raus, da Teilstücke anderweitig vermarktet oder zu Wurst verarbeitet werden konnten. Neben Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung beliefert das Tochterunternehmen der Bio-Supermarktkette Bio Company mit Hauptsitz in Berlin ausschließlich den Bio-Fachhandel. Beides würde sich gut ergänzen: Edelteile laufen vorwiegend im Bio-Fachhandel, weniger prominente und damit günstigere Teilstücke sind bei Großküchen gefragt. Dem Vertriebskanal Außer-Haus-Verpflegung käme eine immer größere Bedeutung zu, schon heute erwirtschaftet der Verarbeiter dort ein Viertel seines Umsatzes. Damit konnte auch der Nachfragerückgang im Bio-Fachhandel nach eigenen Angaben größtenteils kompensiert werden.
Aufgrund der Corona-Pandemie waren 2021 die Verkaufsmengen sehr gering, da alle beteiligten Kantinen teilweise geschlossen und später nur eingeschränkt geöffnet waren. „Auch im vergangenen Jahr erreichten die meisten nur 60 bis 70 Prozent ihrer Abverkaufszahlen von vor der Pandemie“, ordnet Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin, die Zahlen ein. Die Biomanufaktur Havelland gibt sich gelassen, schließlich seien durch das Projekt wichtige Anfänge gelungen. „Unsere Aufgabe in dem Projekt war es nicht, möglichst viel Fleisch abzusetzen, sondern den Aufbau einer Wertschöpfungskette exemplarisch zu erproben, Erfahrungen zu teilen und dadurch in anderen Regionen ähnliche Modelle anzustoßen“, sagt Schäfer. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen in Berlin-Brandenburg sind öffentlich frei zugängliche Beratungsmodule und Handlungsempfehlungen entstanden, die den oft komplizierten Weg von regionalen Bio-Lebensmitteln in die Außer-Haus-Verpflegung ebnen sollen. Darüber hinaus fanden Workshops in den Ökomodellregionen Miesbacher Oberland (Bayern), Bergisches RheinLand (Nordrhein-Westfalen) und Amberg-Sulzbach (Bayern) mit Akteuren, die Bio-Rindfleisch aus Weidehaltung an Großküchen vermarkten wollen, statt.
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Während der Pandemie knirschte es bei einigen Wertschöpfungsketten, die eine oder andere ist auch (kurzzeitig) gerissen: ein schlagendes Argument zu regionalisieren, wo es sinnvoll ist. Die bei GanzTierStark definierte Regionalität von 200 Kilometer um den Berliner Funkturm konnte zu 94 Prozent eingehalten werden. Das Bio-Weiderindfleisch stammte zu 89 Prozent aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Die erlaubte Entfernung ist dem seit 2017 zu Danish Crown gehörenden Schlachthof Teterow in Mecklenburg-Vorpommern geschuldet. Eine noch näher gelegene Schlachtstätte hätte Wege weiter verkürzen können.
Grundsätzlich zeigt sich Schäfer, die das Projekt mitinitiiert und wissenschaftlich begleitet hat, mit dem Erreichten zufrieden, aber: „Schade, dass nach der Corona-Krise keine weiteren Kantinen für das Projekt gewonnen werden konnten.“ Neben gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel sei auch die Rückkehr in den Normalbetrieb für viele Großküchen herausfordernd gewesen.
Bio ist kein Selbstläufer
Entscheidend sei es, Küchenpersonal zu überzeugen und zu motivieren. „Mit den Vorteilen von artgerechter Tierhaltung, Tierwohl und Regionalität gelingt dies oft besser als allein mit dem Argument Bio.“ Ob durch Erklärvideos oder Exkursionen entstünde ein wichtiger emotionaler Bezug zu den Landwirtinnen und Landwirten und deren Arbeitsweisen. „Wer die Tiere auf der Weide gesehen hat, mit dem muss man hinterher nicht mehr über Einkaufspreise sprechen. Die höhere Qualität war dann allen klar.“
In das gleiche Horn stößt auch Torsten Kleinschmidt, verantwortlich für Produktentwicklung und Einkauf beim Studentenwerk Frankfurt/Oder. „Weiderindfleisch ist eine viel höhere Qualitätsstufe bis hin zur Klimabilanz“, hebt er hervor. Prinzipiell gelte es ein Verständnis dafür zu schaffen, teurer einzukaufen, wenn es doch billiger geht. „Wir schauen nicht mehr wie früher nur nach der Wirtschaftlichkeit, sondern bio, regional und gesundheitliche Aspekte haben sich als wichtige Faktoren etabliert.“ Doch bei aller Bio-Liebe, muss die Kalkulation aufgehen. Bei 5,50 Euro pro Mahlzeit sei bei den Studenten und Studentinnen das Ende der Fahnenstange erreicht. Generell müsse sich der Speiseplan getreu dem Motto weniger Fleisch, aber dafür höhere Qualität ändern: mehr vegetarische Gerichte, Fleischeinwaage reduzieren und dafür Beilagen erhöhen. Klassisch kam beispielsweise Krautgulasch zum Zug, die arabische Küche diente ebenso als Vorbild, in der Bulgur und Rindfleisch zusammenfinden. „Wir haben Sonnenblumenkerne und Hafer hinzugegeben“, verriet Kleinschmidt während einer Podiumsdiskussion zum Projektverlauf auf der Biofach im vergangenen Jahr. Der Austausch mit den anderen Großküchen sei sehr hilfreich gewesen, denn nicht alles gelingt. In den Mensen des Studentenwerks optisch durchgefallen ist die Rinderbratwurst 90 Gramm, die die kurzen Standzeiten nicht ausgehalten hatte und daher bis zur Abgabe an die hungrige Kundschaft geschrumpelt war. „Die sah dann nicht mehr so attraktiv aus wie direkt vom Grill.“ Generell habe es sich bewährt auf neue Rezepte zu setzen, damit ein direkter Vergleich und damit möglicher Unmut über den gesunkenen Fleischanteil vermieden wird, wie es in den Handlungsempfehlungen des Projekts heißt.
Beim Studentenwerk mit seinen fünf Mensen ist 100 Prozent Bio-Weiderindfleisch gesetzt, was wohl ohne GanzTierStark nicht gelungen wäre. „Solch ein Projekt mit seinen definierten verpflichtenden Aufgaben erleichtert es, innerbetrieblich alle mitzunehmen. Eine feste Entscheidung ist bereits gefallen. Das ist viel einfacher, als wenn ich als einzelner Einkäufer eine Idee vorstelle.“ Auch der Klassiker habe sich eingestellt, nachdem scheinbar zu große Hürden überwunden waren: „Manchmal braucht man einen Anschubser von außen und im Nachgang will man es gar nicht mehr anders haben“, sagt Kleinschmidt lachend. Derzeit prüft er Eier und Milch konsequent auf Bio-Qualität umzustellen. Bei allem Erfolg, bleibe Bio generell erklärungsbedürftig.
Ein freier Markt würde es regeln
Möchten Großküchen ihren Bio-Anteil erhöhen, können sie sich bis zu 80 Prozent der Beratungskosten staatlich bezuschussen lassen, auch ein neues Bio-Siegel soll das Ausloben erleichtern. Sind jedoch neue regionale Wertschöpfungsketten das Ziel, brauche es entsprechende Koordinierungsstellen – denn einzelne Erzeugerbetriebe, Verarbeiter und Großküchen könnten das im oftmals hektischen Tagesgeschäft nicht nebenbei stemmen. „Solche Koordinationsstellen – ob beispielsweise bei einem Anbauverband oder einer Ökomodellregion angesiedelt – müssen langfristig gefördert werden, wenn wir mit Bio in die Breite kommen wollen“, adressiert Schäfer an politische Entscheider. Ein Problem: Regionale Herkunft kann in öffentlichen Ausschreibungen aufgrund des EU-Vergaberechts nicht als Beschaffungskriterium festgelegt werden.
GanzTierStark wurde von 2020 bis Ende Mai 2023 aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit einer halben Million Euro gefördert. Die Projektträgerschaft erfolgte über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL).
Den großen Rahmen hat Schäfer ebenso im Blick. Zwar werde ein höherer Bio-Anteil in den Großküchen gefordert, aber gleichzeitig müssen bei höherer Qualität oftmals knapp bemessene Budgets eingehalten werden. Die Essenspreise sollen für die Kantinengäste zudem möglichst stabil bleiben. Die Quadratur des Kreises. Eine niedrigere Mehrwertsteuer auf Bio-Lebensmittel würde aus Schäfers Sicht vieles erleichtern. „Damit schafft man echte Anreize, das Speisenangebot nachhaltig zu verändern“, sagt die Wissenschaftlerin und verweist auf Preise, die lügen. „Seit Jahrzehnten reden wir davon, Kosten für Umweltschäden – wie sie beispielsweise durch die industrialisierte Tierhaltung entstehen – in die Produkte einzupreisen. Derzeit zahlt dafür die Allgemeinheit. Das ist kein freier Markt.“
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