Viele Menschen wünschen sich mehr Klimaschutz und Tierwohl. Dennoch sind höherpreisige Bio-Lebensmittel, die dank der Richtlinien der Anbauverbände die gesetzlichen Vorgaben in vielen Punkten übertreffen, derzeit teils schwer zu vermarkten. Der ökologische Mehrwert muss am Produkt noch sichtbarer werden, ist eine Erkenntnis aus dem Gespräch mit den Demeter-Regionalreferenten Martina Thalmayr (Bayern) und Tim Fetzer (Baden-Württemberg).

Die Kundschaft ist beim Lebensmitteleinkauf teils wieder deutlich sparsamer geworden, Demeter-Ware ist meist eher hochpreisig. Welche Produkte sind in Bayern und Baden-Württemberg derzeit schwer zu vermarkten?
Martina Thalmayr: Zuerst die gute Nachricht: Die Kernkäuferschaft ist Demeter erhalten geblieben. Allerdings sind in allen Warengruppen Rückgänge zu verzeichnen. Bei Fleisch, Milch und Eier sind die Umsätze spürbar eingebrochen – das betrifft auch andere Bio-Anbauverbände. Vielfach wird zu günstigeren EU-Bio-Produkten gegriffen, mehr Tierwohl, Klimaschutz und Biodiverstiät durch die höheren Standards der Verbände sind dann leider oft zweitrangig.
Zum Teil lassen sich die Verhaltensmuster der Konsumenten nicht wirklich erklären. Grundsätzlich sind die Preise für Bio-Produkte prozentual weniger gestiegen als konventionelle. Trotzdem wird gespart. Warum beispielsweise gerade der Eier-Absatz so stark gesunken ist, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Das ist ein Problem, da zu den Legehennen auch die Bruderhähne ökologisch aufgezogen werden müssen, was meist über einen höheren Eierpreis finanziert wird.
Tim Fetzer: Beim Getreide gibt es in Baden-Württemberg die größten Vermarktungsprobleme. Demeter-Dinkel war meist eher knapp und wurde dann der Nachfrage folgend verstärkt angebaut. Die Ernte im vergangenen Jahr fiel zudem noch überdurchschnittlich gut aus. Dann brach die Nachfrage im Bio-Fachhandel angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ein. Daher sind die Lager noch recht voll.
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Was hat das zur Folge?
Tim Fetzer: Regelmäßig bringen wir Landwirte, Verarbeiter und Händler an einem Tisch zusammen, um gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen Situationen zu entwickeln und gemeinsam Lösungen zu finden. Damit die Demeter-Dinkelprodukte durch Aktionen im Handel wieder im Einkaufskorb landen, sind die Landwirte mit den Preisen runtergegangen. Das soll nicht auf Dauer so bleiben und war für alle Erzeuger ein harter Schritt, die ja auch gestiegene Produktionskosten stemmen müssen.
Welche Produkte sind nach wie vor stark nachgefragt?
Tim Fetzer: Während es die Demeter-Milch eher schwer hatte und hat, lief Speiseeis wie schon im vergangenen Jahr überraschend gut.
Martina Thalmayr: Konventionelles Eis ist in den Eisdielen eklatant teurer geworden. Dadurch hat sich die Kundschaft an höhere Preise gewöhnt, und die Preisunterschiede zu Bio sind geschmolzen. Bereits in den letzten Jahren hat das komplette Bio-Eissortiment einen großen Zulauf verzeichnet, der Trend ist stabil.
Was sind derzeit die größten Sorgen der Demeter-Landwirtinnen und -Landwirte?
Martina Thalmayr: Sie müssen planen, was und wie viel sie im kommenden Jahr anbauen und dafür auch eine möglichst sichere Abnahmen finden. Bislang konnte man sich recht gut auf einen stetig wachsenden Bio-Markt für die Verbandsware verlassen. Nächstes Jahr ist allerdings schwer einzuschätzen, weil auch Verarbeiter sich mit Prognosen eher zurückhalten, da sie nicht wissen wohin es die Kundenströme zieht. Bio wird verstärkt im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel und beim Discounter gekauft. Dort setzen sich die Kunden aber anders zusammen als im Bio-Fachhandel. Die Produkte werden unterschiedlich präsentiert und der konventionelle Handel hat nicht die gleichen Erfahrungswerte in der Ansprache klassischer Bio-Kunden wie der Bio-Fachhandel.
Wie möchten Sie Kundschaft wieder verstärkt für höherpreisige Verbandsware gewinnen?
Martina Thalmayr: Wir arbeiten daran, ökologische Nachhaltigkeit und Relevanz für den Klimaschutz bei unseren Produkten sichtbarer zu machen. Ein Werkzeug dafür ist die Regionalwert-Leistungsrechnung. In dieser Form der Bilanz wird der monetäre Wert der ökologischen Maßnahmen ersichtlich. So kann man belegen, was beispielsweise der Aufbau von Humus kostet und wert ist.
Die Regionalwert-Leistungsrechnung
Anhand rund 300 Kennzahlen wird ermittelt, welche ökologischen und sozialen Leistungen ein Betrieb für die Gesellschaft erbringt und wie viel sie in Euro wert sind. Die Daten geben Landwirtinnen und Landwirte eigenständig im Online-Tool ein. Die Nachhaltigkeitsleistung wird zusätzlich auf einer Prozent- und Farbskala als Nachhaltigkeitsgrad ausgegeben, so dass individuelles Entwicklungspotenzial identifiziert wird. Eine Lizenz ist kostenpflichtig. Nachteil: Die Ergebnisse fußen rein auf Eigenangaben. Eine unabhänige Kontrolle, ob sich die ökologischen Mehrwerte auch tatsächlich eingestellt haben, gibt es bislang noch nicht.
Landwirtinnen und Landwirte können zwar den Wert ihrer ökologischen Leistungen in Euro beziffern, mehr Geld haben sie davon aber nicht in der Tasche.
Tim Fetzer: Man zeigt nicht mit dem Finger auf andere, das ist ein großer Vorteil. Mit den Zahlen schwarz auf weiß kann ich faktenbasiert in die Kommunikation mit der Kundschaft gehen. In der politischen Arbeit sind diese Werte wichtig, wenn wir beispielsweise über das Ausgestalten von Agrarsubventionen sprechen. Die sollen verstärkt denjenigen zugute kommen, die viel für das Gemeinwohl leisten. Zudem liefert die Bilanz dem Betrieb auch Informationen, wo er steht und in welchen Bereichen er noch bezüglich der Nachhaltigkeitsdimensionen nachschärfen sollte.
Wie kann man der Kundschaft den ermittelten Mehrwert näherbringen?
Martina Thalmayr: Natürlich müssen wir diesen bei den Produkten entsprechend hervorheben. Es muss aber deutlich einfacher sein, als den Eurowert auf die Packung zu drucken. Schließlich können kleinere Betriebe hier eventuell einen vergleichsweise niedrigen absoluten Wert vorweisen, obwohl sie im Verhältnis genauso viel für Umwelt und Klima tun.
Tim Fetzer: Deswegen muss man mit dem Instrument der Regionalwert-Leistungsrechnung auch vorsichtig sein, um andere nicht fälschlich in ein schlechteres Licht zu rücken.
Martina Thalmayr: Daher braucht es eine Art Ranking, woran man bei einigen Labels arbeitet dieses zu integrieren. Ein neues Siegel würde eher verwirren, denn davon gibt schließlich schon genug. Mein Wunsch: Der Kunde steht vor dem Regal, sieht zwei Produkte mit unterschiedlichen Preisen, erkennt den Mehrwert für Umwelt, Klima und Tierwohl und ist bereit dafür einen höheren Preis zu zahlen.
Und das Demeter-Siegel reicht dafür nicht aus?
Martina Thalmayr: Klimaschutz ist gar nicht so leicht greifbar zu kommunizieren. Die Marke Demeter weiter aufzuladen ist unsere Aufgabe.
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