Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wirkt sich in Deutschland auf die Versorgungslage mit Bio-Rohstoffen und -Futtermitteln aus, die sich teils extrem verteuert haben und knapp geworden sind. Auch Demeter-Produzenten sind betroffen, wie Johannes Kamps-Bender vom Bundes-Vorstand und die geschäftsführende Vorständin Demeter im Westen, Ute Rönnebeck, im Interview berichten. Ein bewusster Umgang mit knappen Ressourcen und ein Gespür für wahre Preise seien gefragt.

Derzeit sind Bio-Rohstoffe knapp oder aufgrund gestiegener Energiepreise teuer. Was berichten Ihnen Demeter-Landwirte und -Verarbeiter?
Johannes Kamps-Bender: Auch bei Demeter gibt es einzelne Betriebe, die sich auf Tierhaltung spezialisiert haben, wie im Bereich Geflügel. Zwar muss bei unseren Mitgliedern mindestens die Hälfte der Futtermittel vom eigenen Hof stammen, aber wenn der Betrieb nicht selbst mischt, bezieht er Teile der Futterration von einer Futtermühle. Wenn dort einige Komponenten kaum verfügbar sind oder sich extrem verteuert haben, steigen die Produktionskosten für Fleisch und Eier bis in einen Bereich, in dem sie nicht mehr von den Verkaufspreisen gedeckt werden, wie wir von einzelnen Betrieben erfahren haben.
Ute Rönnebeck: Bei verarbeiteten Demeter-Lebensmitteln müssen mindestens 90 Prozent der Zutaten auch Demeter-Qualität aufweisen, um entsprechend ausgelobt werden zu können. Je mehr Zutaten ein Produkt enthält, um so herausfordernder ist es derzeit, die erforderliche Verbandsware zu besorgen. Das führt beispielsweise in einem konkreten Fall dazu, dass ein Bio-Hersteller aufgrund der momentanen Lage seine neuen Fertigmischungen zunächst eher als EU-Bio-Produkt auf den Markt bringt. Erst wenn die Lieferketten wieder sicherer sind, folgt das Ausloben als Demeter-Ware.
Also gilt es, mit den vorhanden Demeter-Rohstoffen gut hauszuhalten.
Johannes Kamps-Bender: Wir müssen prüfen, was wir entlang der gesamten Lieferkette dafür tun können, damit wir weniger Lebensmittel verschwenden. Das gilt vom Acker bis zum Teller und endet beim Verbraucher, der sich neben wirklich bedarfsgerechtem, möglichst saisonalem Einkauf auch fragen sollte: Wie „schön“ muss ein Apfel, wie gerade eine Gurke wirklich sein, um gut zu schmecken und mir wertvolle Nährstoffe zu liefern?
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Wo gibt es aktuell Lieferprobleme?
Johannes Kamps-Bender: Noch vor wenigen Jahren mussten wir neue Absatzwege erschließen, um möglichst alle biodynamisch erzeugten Produkte auch als Demeter-Produkte vermarkten zu können. Die entsprechende Nachfrage ist heute da, und ist viel höher als das Angebot. Wir könnten vor allem deutlich mehr Obst, Gemüse, Getreide und Milchprodukte absetzen.
Worauf müssen sich die Konsumenten einstellen?
Johannes Kamps-Bender: Auf Solidarität. Eine Bio-Banane und andere Südfrüchte haben einen langen Weg zurückgelegt, bevor sie im Laden liegen. Auch zu fast jeder Zeit Obst und Gemüse außerhalb deren Saison erwerben zu können ist ein Luxus, den es wieder als solchen wahrzunehmen gilt. Entweder wurden Gewächshäuser beheizt, Kühlräume betrieben oder die Transportwege sind entsprechend lang. Das alles kostet meist fossile Energie, die sich extrem verteuert hat.
Die Politik hat nun die Chance mit dem Mythos aufzuräumen, dass alle Lebensmittel immer billigst zu haben sein müssen. Jetzt gilt es, den wahren Preis in den Fokus zu rücken. Studien belegen, dass Bio-Lebensmittel günstiger sind als konventionell erzeugte – wenn versteckte Kosten mit eingepreist werden. Dazu zählen unter anderem Gesundheits-Folgekosten, die durch Antibiotika-Resistenzen oder aber durch Feinstaub und Stickoxide entstehen oder Umweltschäden durch Überdüngung, Bodenerosion und belastetes Grundwasser. Bio bedeutet mehr Tier- und Umweltschutz, gesündere Böden, saubereres Wasser und mehr Biodiversität.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir seit Jahrzehnten Lebensmittel unter Wert konsumiert. Natürlich sollen gesunde und möglichst nachhaltig produzierte Lebensmittel für alle Menschen verfügbar sein. Hier müssen wir die soziale Frage auf jeden Fall mitdenken, sodass eine gute Ernährung nicht wohlhabenden Menschen vorbehalten ist.
Welche Transformationsprozesse gilt es schleunigst voranzutreiben?
Johannes Kamps-Bender: Ein tiefgreifender Bewusstseinswandel kann nur stattfinden, wenn jeder etwas dazu beiträgt. Daher ist ein stärkeres soziales Miteinander entscheidend. Landwirte, Verarbeiter, Händler und Konsumenten müssen in die Frage danach eingebunden werden, welche Lebensmittel wie erzeugt werden. Im gegenseitigen Austausch nur können sie auch ein Verständnis füreinander entwickeln. Wir erleben es täglich auf unseren Demeter-Höfen: Wenn Schulklassen Bauernhöfe besuchen, wächst das Wissen, woher Lebensmittel stammen. Bildung ist entscheidend.
Das wird doch schon seit Jahrzehnten gemacht, auch Medien berichten schon lange über ökologische Herausforderungen in der Lebensmittelwirtschaft. Ist es nicht frustrierend, immer noch die Grundlagen vermitteln zu müssen?
Ute Rönnebeck: Mit Cem Özdemir (Bündnis90/Die Grünen) haben wir nun endlich einen Landwirtschaftsminister, der den ökologischen Landbau als Leitbild begreift. So schön das heute ist, kommt es doch 30 Jahre zu spät. Nun gilt es, beherzt zu handeln, damit wird eine Ernährungswende hin zu mehr Nachhaltigkeit zu schaffen, um die Artenvielfalt, das Klima, die Umwelt und damit letztlich auch unser Leben hier auf diesem Planeten zu schützen.
Johannes Kamps-Bender: Meine Heimat ist eine Weinbaugegend in Süden Baden Württembergs. Bei uns ist das Glas immer halbvoll, und so sehe ich das auch: Bei allem gilt es, Hoffnung und Zuversicht nach vorne zu tragen. Meine Generation hat versagt, die Zukunft ökologisch zu gestalten. Doch ich erlebe auch eine kraftvolle und sehr engagierte Jugend. Als Gesellschaft lernen wir auf zwei Wegen: durch das Aneignen von Wissen, aber eben auch über den Schmerz – etwa durch gestiegene Preise für fossile Energien.
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