Waren 2011 lediglich zwölf Betriebe bekannt, die Solidarische Landwirtschaft (Solawi) betrieben, sind es neun Jahre später bereits 267 – 49 sind derzeit dabei zu gründen. Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann und Zeit, das Modell aus der Nische zu holen. Daher versammelten sich am 2. Fachtag Solidarische Landwirtschaft Bauern, Mitglieder, Interessenten, Wissenschaftler und eine handvoll Politiker, um darüber zu diskutieren.
Das Konzept der Solawi ist schnell erklärt: Um einen landwirtschaftlichen Betrieb bildet sich eine Gemeinschaft, die Abnehmer für die produzierten Lebensmittel ist. Der Landwirt oder der Gärtner kalkuliert seinen finanziellen Bedarf, jeder Anteilseigner zahlt einen festen monatlichen Beitrag und erhält dafür seinen Ernteanteil. Produzenten sind dadurch vom Markt unabhängig, Vielfalt auf dem Acker ist möglich, (klein)bäuerliche Strukturen lassen sich erhalten, man kann oft noch ökologisch nachhaltiger wirtschaften, Konsumenten erleben Produktion und entwickeln dadurch wieder ein entsprechendes Bewusstsein für gute Lebensmittel.
Ökologische Agrarwende: Solawi als Teil der Lösung
„Die Art wie Lebensmittel heute meistens produziert wird, ist Ursache für Klimawandel und Artensterben“, stellte Dr. Ursula Hudson, Vorstandsvorsitzende Slow Food Deutschland, in ihrem Eröffnungsvortrag klar. Auch Konsumenten könnten sich nicht aus der Verantwortung stehlen, jede Mahlzeit entscheide, wie Lebensmittel hergestellt werden. Oberstes Ziel sei der Erhalt von fruchtbaren Böden, auch regionale Wertschöpfungsketten gälte es zu stärken und wieder aufzubauen. Solawi ist für sie ein Leuchtturm, um eben diese Ziele zu erreichen.
Mag das Konzept vielfach noch unbekannt sein, bewegt es sich zusehends aus seiner Nische raus. „Ende des Jahres werden es mindestens 300 Betriebe sein“, sagte Laura Carlson von der TU München. Als Erfolgsbeispiel nannte sie die Rote Bete aus Leipzig. Nachdem die örtliche Kirchengemeinde zusätzlich 32 Hektar Land anbot, gründete sich ein neuer Betrieb aus der bestehenden Solawi aus. Ziel: 5.000 Menschen mit Biogemüse und -obst zu versorgen.
Jan Plagge, Präsident Anbauverband Bioland, erinnerte an die Zeit, als Ökolandbau als reine Nische betrachtet wurde. Wohl kaum jemand hätte sich vorstellen können, welchen Anteil die ökologische Landwirtschaft heute einnimmt – auch wenn er zugegebenermaßen noch ausbaufähig sei. Plagge ist Realist, denn noch reichen rund zehn Prozent Ökolandwirte nicht aus, um etwa flächendeckend Wasserschutz und mehr sicherzustellen. „Solawi kann eine wichtige Rolle in der Land- und Ernährungswirtschaft spielen“, betonte er, denn das Modell könne politisch viel verändern.
Koalitionsvertrag ja, Konkretes nein
Es in den aktuellen Koalitionsvertrag geschafft zu haben, ist ein großer Teilerfolg der Bewegung. „Wir wollen im Rahmen der Modell- und Demonstrationsprojekte (Best-Practice) Vorhaben zur regionalen Wertschöpfung und Vermarktung fördern, z. B. Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (Solawi)“, heißt es in dem Papier. Die Weichen dafür wurden im letzten Jahr auf dem 1. Fachtag gestellt, näheres dazu im Buch „Für unsere Zukunft – Wie Biopioniere die Welt verändern“, welches diesem Jahr im oekom verlag erscheint.
Doch auch nach zwei Jahren und zahlreichen, vielversprechenden Gesprächen mit Verantwortlichen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gibt es keine konkreten Ergebnisse, wie Veikko Heintz, Vorstandsmitglied Solidarische Landwirtschaft, berichtete. Auf dem Fachtag erteilte Staatssekretär Uwe Feiler (BMEL) speziellen Solawi-Förderprogrammen eine klare Absage; man solle bestehende Möglichkeiten nutzen. Seiner Rede merkte man an, dass für ihn das Themenfeld Solawi noch recht neu ist. Er zeigte sich jedoch bereit für vertiefende Gespräche.
„Es ist eine einmalige Leistung, dass es die Solidarische Landwirtschaft in den Koaltionsvertrag geschafft hat“, lobte Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher Bündnis90/Die Grünen. „Weiter das Umsetzen anzumahnen ist eure Aufgabe als Bewegung“, gab er ins Publikum. Rainer Spiering, agrarpolitischer Sprecher der SPD und Kees de Vries (CDU) konnten nicht an der Diskussion teilnehmen. Dadurch war der aktuelle Stand der Bundesregierung in Sachen Solawi nicht zu erfahren. Auch Dr. Gero Hocker (FDP) blieb der Diskussion fern, nur die agrarpolitische Sprecherin Dr. Kirsten Tackmann (Linke) war anwesend.
Hinweise
Der 2. Fachtag Solidarische Landwirtschaft fand am 22. Januar in den Räumen der Heinrich Böll Stiftung in Berlin statt. Der Berliner Filmemacher Philipp Petruch drehte für seinen neuen Dokumentarfilm mit dem Schwerpunkt Solawi auf dem Fachtag und führte mehrere Interviews. Brehl backt! steht mit ihm in Kontakt und hofft, weiter über sein Projekt berichten zu können.
Nachtrag 16.06.2020
Das Crowdfunding von Filmemacher Philipp Petruch war erfolgreich.
Nachtrag 25.05.2020
Um seinen Solawi-Dokumentarfilm finanzieren zu können, hat Filmemacher Philipp Petruch ein Crowdfunding gestartet.
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