Manch einer feiert seinen Geburtstag lieber im Stillen bei Kaffee und Kuchen. Der Anbauverband Bioland hatte sich vor dem gemütlichen Teil für ein politisches Matinee entschieden – denn es gibt auch nach 50 Jahren Bioland einige Spannungsfelder zu diskutieren. Längst ist der konventionelle Handel ein wichtiger Partner für die ökologische Agrarwende und auch Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, wurde nicht müde, Gemeinsamkeiten zu beschwören. Bioland-Präsident Jan Plagge beklagte politischen Gegenwind aus Berlin.
Am 25. April 1971 gründeten zwölf Männer und Frauen mit „bio-gemüse e.V.“ den Vorläufer des heute mit über 8.500 Betrieben in Deutschland und Südtirol größten ökologischen Anbauverbands Bioland. Keiner der Gründer*innen hätte wohl zu träumen gewagt, dass man den 50. Geburtstag gemeinsam mit dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbands (DBV), mit dem Geschäftsführer einer konventionellen Supermarktkette und einer ehemaligen Landwirtschaftsministerin feiert – und ein amtierender grüner (!) Ministerpräsident per Videobotschaft Grußworte übermittelt.
Die „ökologischen Spinner“ von damals seien heute mitten in der Branche „und unverzichtbarer Teil der Landwirtschaft“, machte DBV-Präsident Joachim Rukwied klar. „Wir sind alle Bauern. Deshalb ist für mich das Gemeinschaftsgefühl ganz wichtig. Schwarz-Weiß-Denken ist mit Sicherheit passé.“ Ihm sei klar, dass sich die Landwirtschaft in den nächsten Jahren immer weiter ökologisieren muss und sich konventionelle und ökologische Arbeitsweisen dabei annähern werden. Klimawandel, Erhalt von Biodiversität und Tierschutz seien Herausforderungen. Und als Landwirt gesprochen: „Ich sehe mich als Verwalter des Betriebs, der ihn in einem besseren ökologischen aber auch guten ökonomischen Zustand an die nächste Generation weitergeben möchte.“
Umwelt zuerst
„Am Ende muss der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft über den Markt geschehen. Dafür muss noch mehr Bereitschaft in der Bevölkerung vorhanden sein, für höherwertige, regionale und nachhaltig erzeugte Lebensmittel auch einen höheren Preis zu bezahlen. Politische Vorgaben helfen uns nicht.“ Aber: „Lebensmittel müssen auch für Hartz-IV-Empfänger bezahlbar sein.“
„Die Bioland-Begründer haben uns mit in die Wiege gelegt, dass Ökologie und Lebensgrundlagen zuerst kommen und die Ökonomie nur Mittel zum Zweck ist. Der eigentliche Sinn unseres Tuns in der Landwirtschaft ist die Bewahrung der Schöpfung“, sagte Bioland-Präsident Jan Plagge. Über Jahrzehnte hätten die ersten Bio-Bäuerinnen und -Bauern keinen Mehrpreis generiert, doch seien sie innerlich überzeugt gewesen, das Richtige zu tun.
Eben diese innere Überzeugung müsse auch heute noch die treibende Kraft sein, um Betriebe auf ökologische Landwirtschaft umzustellen. „Wenn ein Landwirt in seiner Schweinemast nur weniger Tiere hält oder Spielzeug im Stall aufhängt, weil er Geld dafür bekommt und nicht die Notwendigkeit sieht, Tierwohl wirklich voranzutreiben, dann ist das in unseren Augen zu kurz gesprungen“, machte Klaus Fickert, Geschäftsführer Edeka Südwest klar. Faire Einkommen – auch für die auf den Höfen Beschäftigen – seien eine wichtige Basis, aber Umstellungswillige „müssen auch ideologisch mitgenommen werden.“ Grundlegend stimmte Rukwied zu: „Die Ökonomie darf nicht die Richtschnur sein, das muss die Nachhaltigkeit sein.“
Die Politik muss liefern – auf allen Ebenen
Bei aller Einigkeit in weiten Teilen der Diskussion – abweichende Meinungen flammten erwartungsgemäß bei der Sichtweise auf neue Gentechnik CRISPR/Cas auf (Bioland: auf keinen Fall, DBV: Chancen nutzen) – wurde Plagge bei einem Punkt deutlich emotional und etwas lauter. Auch nach etwa 100 Jahren Öko-Bewegung und 50 Jahren Bioland muss in Deutschland immer noch die politische Basis für eine umfassende ökologische Agrarwende bereitet werden – allen Klimazielen und der Vorgabe im Koalitionsvertrag bis 2030 ein Fünftel der landwirtschaftlichen Flächen ökologisch zu bewirtschaften zum Trotz.
„Wir streiten uns in Deutschland, wie wir beim Fleisch eine verpflichtende Qualitäts- und Herkunftskennzeichnung einführen, die die 30.000 Bio-Betriebe integriert.“ Der oberste Standard des geplanten staatlichen Tierwohlkennzeichens entspräche noch nicht einmal den Bio-Kriterien, wie er bereits auf einer Pressekonferenz wenige Tage zuvor monierte. Beim Matinee beklagte er, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner entwickle weder ein Gesamtbild, noch verstünde sie es Bio als Vorbild einzubinden. „Derzeit gibt es aus Berlin viel mehr Gegenwind.“ Angesichts drängender ökologischer Probleme bezweifle er, ob man die Zeit habe, passende politische Rahmenbedigungen abzuwarten, die es aber benötige. Ein klassisches Henne-Ei-Problem.
Dem stimmte Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Bündnis90/Die Grünen) zu und riet, nicht auf die privaten Endkunden zu warten. „Landwirte haben das Recht, das Ändern von Strukturen viel massiver einzufordern.“ Dabei müsse auch die Politik auf EU-Ebene mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis in die Kommunen ihre Hausaufgaben machen. „Unsere Leitlinien, anhand derer wir Geld ausgeben, stimmen alle nicht. Ausschreibungsbedingungen folgen noch der Logik einer Zeit, in der wir Wirtschaft nicht in Kreisläufen und Gemeinwohl gedacht haben.“ Um die Klimaerwärmung wie im Pariser Abkommen festgelegt auf 1,5 Grad zu begrenzen, müsse die gesamte Lebensmittelproduktion umgebaut werden. Als einen großen Hebel die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln weiter zu befeuern und es damit noch mehr landwirtschaftlichen Betrieben zu ermöglichen, auf Bio umzustellen, brachte sie die Außer-Haus- und Gemeinschaftsverpflegung in Kantinen, Mensen, Krankenhäusern, Kitas und dergleichen ins Spiel. Hier sollten saisonale und regionale Bio-Lebensmittel den Ton angeben.
Hinweis: Das politische Matinee fand am 25.04.2021 statt und wurde aufgezeichnet.
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