Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Antisemitismus, Fremdenhass und Verschwörungsideologien entgegenzutreten. Steht die ökologische Landwirtschaft deutlich überwiegend für Vielfalt, erinnerte Carla Wember vom Institut für Ländliche Strukturforschung in ihrem Workshop auf der Öko-Junglandwirte-Tagung vergangenen November an deren dunkle Seite. Rechtes Gedankengut ist auch historisch bedingt in Teilen an aktivem Klima- und Umweltschutz anschlussfähig.
Nicht jeder, der sich mit vollem Herzen der ökologischen Landwirtschaft widmet, hat darin auch Platz für gesellschaftliche Vielfalt. „Ich dachte, wir sind die Guten“, hieß es im Gesprächskreis, zu dem Carla Wember eingeladen hatte, um über rechte Tendenzen im Öko-Landbau zu sprechen.
Wenn der Arbeitgeber sich negativ über Migranten äußert, oder in der Berufsschulklasse – wo Auszubildende von konventionell wie ökologisch wirtschaftenden Höfen zusammenkommen – die Wahlerfolge der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD begrüßt werden („Endlich geht es in unserem Land voran.“), fühlen sich junge Landwirtinnen und Landwirte mitunter ohnmächtig. Ein Demeter-Landwirt hat bereits viele Freundschaften an Verschwörungsideologien verloren, auch beschleunigt durch die Corona-Pandemie. Demokratie, Wissenschaft und eine alles beherrschende globale Elite – oft als Synonym für Judentum gemeint – seien Feinde, die es zu bekämpfen gilt. Die Kraft zum Diskutieren ist mitunter größtenteils aufgebraucht. Auf dem Land kann es schnell einsam werden, wenn der Dialog mit jedem abbricht, der rechtem Gedankengut nahesteht. Die jungen Landwirtinnen und Landwirte im Gesprächskreis stammten aus unterschiedlichen Teilen der Bundesrepublik, Rechtsruck und Verschwörungsmythen sind beileibe kein rein ostdeutsches Phänomen.
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Artenvielfalt erhalten, Humus aufbauen, Tierwohl stärken, Klima schützen und in vielfältig herausfordernden Zeiten den Hof wirtschaftlich betreiben – und dann soll auch noch aktive politische Bildungsarbeit eine Aufgabe sein? „Was soll ich noch alles leisten“, fragte eine Teilnehmerin.
Sich der Vergangenheit bewusst sein
„Krisen in der Landwirtschaft sind nicht neu“, erinnerte Wember. Schon mit zunehmender Mechanisierung und Industrialisierung traten sozial-ökologische Verwerfungen auf, welche teils entsprechend politisiert wurden. Krisen erzeugen vielfach Ängste, manche Menschen verspüren dann den Impuls, sich zurückzuziehen. So etablierte sich unter anderem ein Glaube an die heile Welt, die durch Fremdes von außen bedroht wird. „Dann wird Migration beispielsweise mit invasiven Arten gleichgesetzt.“
Die ökologische Landwirtschaft im deutschsprachigen Raum entwickelte sich aus mehreren Impulsen. Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts stand in der gesellschaftlichen Umbruchphase die große Frage im Raum, wie die Modernisierung gestaltet werden soll. Aus dem bürgerlichen Milieu entsprang die Lebensreform-Bewegung, deren unterschiedlichen Strömungen organisatorisch mal fester, mal lockerer oder gar nicht miteinander verbunden waren. Einig war man sich, so naturbelassen wie möglich leben und sich ernähren zu wollen. „Hieraus hat sich ein Konzept des naturnahen Landbaus entwickelt.“ Vegetarismus, Freikörperkultur, Naturheilkunde, Yoga waren nur einige Schlagwörter der damaligen Zeit. Heute sichtbar übrig geblieben sind die Reformhäuser.
Die gesunde Portion Skepsis gegenüber der chemisch-technischen Industrialisierung in der Landwirtschaft ist jedoch teilweise in verzerrte Weltbilder umgeschlagen. Eine dunkle Ausprägung war Angst vor einer Degeneration des Menschen. „In diesem Gewirr gab es sehr viele antisemitische Vorstellungen. Man wollte den perfekten, gesunden, reinen Menschen züchten.“ Ein radikal-völkischer Siedlungsbund waren die Artamanen, der schließlich 1934 in die Hitlerjugend integriert wurde.
Ein weiterer Impuls kam mit Rudolf Steiners Lehren für den biologisch-dynamischen Anbau, der immer wieder wegen teils esoterischen Konzepten in der öffentlichen Kritik steht. Steiner übernahm für seine Anthroposophie unter anderem die so genannte Lehre der „Wurzelrassen“, die grob vereinfacht verdeutlichen soll, welche Arten von Menschen über- oder unterlegen sind. Wissenschaftlich sind diese Ansichten unhaltbar. In der aktuellen Demeter-Satzung heißt es: „Der Verband tritt rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen und anderen diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegen. Der Verband tritt Bestrebungen entgegen, die die ökologische Lebensmittelwirtschaft mit extremistischem Gedankengut verbinden.“ So ist wie in vielen Bereichen in der Demeter-Landwirtschaft das volle Spektrum gesellschaftlicher Ansichten zu finden.
Völkische Landnahme: Die Anastasia-Bewegung
Als ein Beispiel neurechter Siedlungsprojekte, welche ökologische Landwirtschaft betreiben, nannte Wember die Anastasia-Bewegung, welche auf einer russischen Romanreihe fußt. Deren Schlüsselfigur ist eine allwissende, gottähnliche junge Frau, welche über Fähigkeiten verfügt, die der moderne Mensch verloren haben soll. Wer sich der Bewegung anschließt, hat das Erlangen eines vollkommenen Zustands als Ziel. „Der Rückzug aufs Land schafft Privatheit, daher findet vieles nicht im öffentlichen Raum statt“, erklärte Wember.
Die braunen Wurzeln der ökologischen Landwirtschaft zu kennen, half den Teilnehmenden sichtlich einzuordnen, warum sich ausgerechnet dort rechtes Gedankengut teils Zuhause fühlt. Der historische Bezug war einer Teilnehmerin bis dahin unbekannt.
Stark, dass Du auch über solche Themen berichtest. Ganz wichtige Hintergründe!