Mehr als die Hälfte – 58,1 Prozent – der Lebensmittelhersteller ist durch den Mangel an Fachkräften beschränkt, wie das ifo Institut vermeldete. Die Bio-Branche bildet dabei keine Ausnahme und ringt ebenso um Mitarbeitende. Teils sind die Gehälter (deutlich) geringer als bei ähnlichen oder gleichen Tätigkeiten in anderen Branchen. Dann gilt es, den ökologischen Sinn in den Vordergrund zu rücken, um zu überzeugen. Aber interessiert das die Belegschaft im Lager oder am Fließband überhaupt? Diese und weiteren Fragen stellten sich Geschäftsführer dreier Bio-Hersteller in einer Diskussionsrunde anlässlich der Jubiläumsfeier 30 Jahre Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller in Fulda.
„Die Menschen kommen des Geldes wegen an die Arbeit. Wir haben in Pfaffenhofen die Besonderheit, dass wir zwischen Audi und BMW sitzen und mit unseren Arbeitsverträgen mit diesen Unternehmen konkurrieren. Wie wir alle wissen, sind wir in der Lebensmittelbranche nicht in der Lage, diese Gehälter und Boni zu bezahlen. Also müssen wir mit anderen Dingen auftrumpfen, die Menschen überhaupt zu bewegen bei uns zu arbeiten“, gab Markus Pscheidl, Geschäftsführer und Mitinhaber Kramerbräu, unumwunden zu. Den ökologischen Mehrwert gelte es daher noch viel offener zu kommunizieren. Als Verarbeiter und Rohstofflieferant bringt sein Unternehmen keine eigenen Produkte in den Handel, so dass sich potentielle Bewerber von einer Marke angesprochen fühlen könnten, der sie regelmäßig beim Einkaufen begegnen.
Als einen Durchbruch erwies sich ein Beitrag in der örtlichen Tageszeitung anlässlich eines neuen Verwaltungsgebäudes. „Nur auf diesen Artikel hin haben wir fünf Initiativbewerbungen von Menschen erhalten, die sich für unsere ökologische Themen interessieren, uns aber vorher gar nicht kannten.“ Pscheidls Erkenntnis: „Wenn wir es schaffen, unser Tun nach außen zu transportieren, dann motivieren wir die Leute, die wir benötigen, um den Fachkräftemangel einzudämmen.“
Gemeinsam den Bio-Weg beschreiten
„Wir brauchen natürlich Fachkräfte wie Elektriker und Finanzbuchhalter, aber vor allem Menschen, die unsere Idee weitertragen können“, sagte Anna Katharina Jostock, Geschäftsführerin InnFood. Vor sieben Jahren hat das Unternehmen als Lohnhersteller für Babynahrung und Kulinarik auf Bio umgestellt, zuvor war es ein Nestlé-Produktionsstandort. So galt es die langjährige Belegschaft von ökologischen Lebensmitteln und neuen Arbeitsweisen zu überzeugen. „Zuvor haben sie in einer Konzernstruktur nach Anweisungen gearbeitet, waren ein kleines Rädchen und wurden anschließend in die Freiheit eines Familienunternehmens entlassen. Plötzlich war da keine Zentrale mehr, die vorgeschrieben oder gestrichen hat, die Budget festgelegt hat, die nicht zu den tatsächlichen Schritten und Zielen gepasst haben. Wir waren vorher kein Bio-Hersteller, die Reise haben wir gemeinsam begonnen.“ Nicht nur die jungen Mitarbeitenden, sondern auch die ältere Belegschaft sei wandelbar und engagiert.
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Daher sei es besonders wichtig, die Bedürfnisse der Einzelnen im Blick zu behalten. „Die“ Wirtschaft und „die“ Unternehmen bestünden schließlich aus Menschen. Auch hier stach Pscheidl erneut mit offenen Worten hervor. „Der Mensch ist keine Maschine. Wenn wir aber unsere Produktionsplanungen machen, dann rechnen wir doch – Hand auf‘s Herz – damit, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter morgens in der Früh kommen, quasi ihren persönlichen Startknopf drücken und dann 100 Prozent ihrer Leistung abliefern, idealerweise sogar noch mehr. Bei einer Maschine erwarten wir das auch, was wir hier auch dürfen. Das ‚Witzige‘ ist aber, bei unseren Produktionsmaschinen gibt es Wartungspläne und Sensoren stellen schnell fest, wenn etwas nicht funktioniert. Dann kommt sofort der Mechaniker und repariert das Ganze. Aber kriegen wir das bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit, die egal aus welchem Grund aus dem letzten Loch pfeifen?“
Tatsächlich hat die Bio-Branche aufreibende Zeiten hinter sich. In den ersten beiden Pandemie-Jahren schoss die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln enorm in die Höhe, was entsprechende Arbeitsbelastungen mit sich zog. Wenn dann die Belegschaft nach einem Brand eines Firmengebäudes und den abgeschlossenen Löscharbeiten der Feuerwehr nicht in den Feierabend startet, sondern mit anpackt, damit am nächsten Tag wieder produziert werden kann, scheint man als Arbeitgeber vieles richtig gemacht zu haben. So geschehen bei Kramerbräu im März vergangenen Jahres. „Das war ein echter Gänsehaut-Moment“, sagte Pscheidl.
Vertrauen eröffnet Chancen
Arlend Huober, Geschäftsführer Huober Brezel, hob die soziale Verantwortung der Bio-Hersteller besonders hervor. „Ein junger Mann kam mit einem Lebenslauf zu uns, mit dem er wahrscheinlich bei jeder Personalabteilung durchgefallen wäre.“ Vorweisen konnte er neben einem schlechten Hauptschulabschluss eine abgebrochene Lehre, zudem war die damalige private Situation alles andere als ideal. Zunächst bekam er im Lager einen Aushilfsjob, damit er ein Einkommen hat. Doch dieser Plan ging nicht auf. Stattdessen machte der junge Mann im Hause Huober die gleiche Ausbildung zum Fachlageristen, die er zuvor bei einem anderen Arbeitgeber abgebrochen hatte. Diese schloss er als Deutschlands bester Auszubildender in seinem Fachbereich ab. Mittlerweile hat er auch die weitere Ausbildung zur Fachkraft der Lagerlogistik in der Tasche und macht gerade seinen Meister. „Mit seinen 23 Jahren ist er bei uns schon Lagerleiter. Wir müssen das Vertrauen immer an die erste Stelle setzen. Es geht um mehr als rein den wirtschaftlichen Erfolg gemessen am Gewinn.“
Hinweis: Die Diskussion fand am 4. Oktober 2022 statt.
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