Augen & Ohren

Die Radieschen schmecken wieder

„Das war die beste Entscheidung, die wir getroffen haben in unserem beruflichen Leben“, sagt Annette Glaser von der Demeter-Gärtnerei Apfeltraum im brandenburgischen Mücheberg. Gemeinsam mit ihrem Partner hatte sie den Bio-Betrieb auf Solidarische Landwirtschaft (Solawi) umgestellt. Seitdem steht er ganzjährig auf wirtschaftlich sicheren Füßen, unnötiger Lebensmittelabfall gehört der Vergangenheit an und die Vielfalt ist auf Acker und im Gewächshaus zurückgekehrt. Philipp Petruch stellt in seinem neuen Film „Ernte teilen“ die Menschen hinter drei Projekten der Solidarischen Landwirtschaft vor.

Petruch hätte seinen Film auch „Wie kann das sein?“ nennen können. Denn wie kann es bitteschön sein, dass ein Drittel der genießbaren Lebensmittel nicht den Weg auf die Teller findet, sondern im Müll landet? Jedes Jahr. Wie kann das sein, dass gut ausgebildete Fachkräfte in Landwirtschaft und Gemüsebau oftmals so wenig Geld verdienen? Schließlich produzieren diese Menschen im wahrsten Sinne des Wortes unsere Mittel zum Leben. „Luxus ist für mich, wenn ich mir gute Arbeitsschuhe kaufen kann“, sagt die Obstgärtnerin Juliette Lahaine von der Solawi in Klein Trebbow in Mecklenburg Vorpommern. Der Satz geht unter die Haut. Da freut sich jemand, seine nötigen Betriebsmittel finanzieren zu können, was im Grunde selbstverständlich sein sollte.

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Der Filmemacher nimmt diese und weitere sozialen Fragen zum Anlass, das Modell der Solidarischen Landwirtschaft in seinem emotionalen Dokumentarfilm zu beleuchten. Bei einer Solawi bildet sich um Erzeugerbetriebe eine Gemeinschaft von Mitstreitern und Mitstreiterinnen, die monatlich einen festen Betrag zahlt und dafür Ernteanteile erhält. Wer möchte, kann bei Aussaat, Jäten, Ernte & Co. auch tatkräftig mitarbeiten. Ein wesentlicher Vorteil für die Landwirtinnen und Landwirte ist die wirtschaftliche Sicherheit.

Aus der Wachstumsspirale ausgebrochen

Damit konnte sich beispielsweise die Demeter-Gärtnerei Apfeltraum aus dem Zwang befreien, stetig wachsen und beständig eine noch größere Ernte dem Boden abverlangen zu müssen, um die jährlich steigenden Kosten abzufedern. Mehr Geld als vorher hat der Gemüsebauer Boris Laufer dank Solawi zwar nicht in der Tasche, aber: „Was wir haben, ist definitiv mehr Zeit die Dinge anständig zu machen.“ Damit meint er besonders, die Arten- und Sortenvielfalt, die wieder eingezogen ist. Denn wer Bio-Gemüse auf kurzen Wegen regional vermarktet, kann reif ernten und zu schmackhaften Sorten greifen, die nicht in erster Linie für eine lange Lagerfähigkeit, gleichförmiges Aussehen, Ertrag und Transportfähigkeit gezüchtet sind. „Wenn eine Tomate aus Spanien kommt, die ist echt alt, bis die hier ist.“ So alt würde eine Tomate von seinem Hof nie. Kulturgut wie alte Sorten bleiben somit erhalten – und ein Radieschen-Tasting zeigt, wie unterschiedlich diese schmecken können.

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„Das ist für mich das größte Glück der Welt“, sagt Markus Poland von der Solawi in Trebbow und meint damit die Wertschätzung für seine Arbeit, die er durch den persönlichen Kontakt erfährt. Für Cornelia Lent hieß es von Beginn an, einfach zu machen. Der Weg ist das Ziel. Mehr oder weniger aus dem Nichts baute sie die Solawi Gemüsegenossen im brandenburgischen Brieselang auf.

Endlich am Ziel

„Ernte teilen“ feiert am 31. Mai im Babylon Kino in Berlin Premiere. Die für die Filmmusik verantwortliche Band „Affen“ spielt live und ganz wie im Film können sich Besucher und Besucherinnen auf ein Radieschen-Tasting freuen.

Philipp Petruch zeigte sich beim persönlichen Telefonat äußerst froh, den Film fertiggestellt zu haben. Über drei Jahre hat er gemeinsam mit seinem Team an dem Werk gearbeitet. Via Crowdfunding konnte er 14.368 Euro einsammeln, zuvor musste alles aus eigener Tasche finanziert werden. Legt man den aktivistischen Ansatz zu Grunde, ist das Werk durchaus gelungen. Klar hätte man noch mehr spannenden Hintergründe über die Bio-Betriebe zeigen, sowie angeprangerte Missstände in der Lebensmittelproduktion durch Fakten untermauern können. Ganz bewusst rückte der Filmemacher jedoch die Menschen hinter den Solawi-Projekten in den Fokus.

Petruch wollte von Beginn an nicht „nur“ einen Film produzieren, sondern die Idee der Solidarischen Landwirtschaft aktiv verbreiten. Wer selbst Solawi-Botschafter sein möchte, kann „Ernte teilen“ für eine Soli-Lizenzgebühr – die weit unter dem marktüblichen Preis liegt – bei seiner eigenen Veranstaltung aufführen. Wie schon Gemüsebauer Laufer klarstellt, ist das Modell der Solidarischen Landwirtschaft, welches hauptsächlich im Öko-Anbau zu finden ist, nicht für jeden Betrieb geeignet und zudem eine Nischenlösung. Doch wie die Vielfalt in der Natur nötig sei, so brauche es ebenso vielfältige Vermarktungswege. Darüber muss gesprochen werden.

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