Augen & Ohren

Das neue Dorf: Lokale Visionen für globale Herausforderungen

Es ist das perfekte Öko-Paradies: In einem kleinen Dorf leben und arbeiten maximal 300 Einwohner. Statt großer Felder mit Monokulturen gibt es zahlreiche Mini-Farmen, auf denen die Vielfalt gedeiht. Etliche Kleinbetriebe von Bäckereien bis Altenpflege versorgen alle mit benötigten Waren und Dienstleistungen. So beschreibt Ralf Otterpohl sein Konzept in seinem Buch „Das neue Dorf – Vielfalt leben, lokal produzieren, mit Natur und Nachbarn kooperieren“. So vielversprechend der Titel, so nichtssagend ist das Werk an vielen Stellen.

Die meisten Menschen geben dem Bauingenieuer Ralf Otterpohl wohl recht, denn wir brauchen eine ökologische Wende: Statt mit Pestiziden & Co. wertvolle Ackerböden zu vergiften, gilt es Bodenfruchtbarkeit zu bewahren. Auch Wasser ist eine wertvolle Ressource, die es zu schützen gilt – besonders hier ist der Autor als Leiter des Instituts für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Technischen Universität Hamburg sichtlich in seinem Element. Sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten sollen dem Wohl von Mensch und Natur dienen, statt wertvolle Ressourcen für maximalen Profit zu verschleudern.

Otterpohls neues Dorf

Landflucht ist auch ein Deutschland ein wichtiges Thema, denn vielerorts drohen Dörfer auszusterben. Kulturelle Angebote gehen ebenso zurück wie Arbeitsplätze. Ralf Otterpohls Vision sind überschaubare Dorfgemeinschaften mit kleinteiliger ökologischer Landwirtschaft und regionalen Wirtschaftskreisläufen. Keine neue Idee, wie zahlreiche Öko-Dörfer und anthroposophische Siedlungen auf den ganzen Welt beweisen. Einige erfolgreiche Beispiele zählt Otterpohl auf.

Dem Autor schweben keine für sich stehenden Öko-Enklaven vor, sondern seine neuen Dörfer sollen mit anderen Gemeinden und Städten kooperieren. An sozialen und ökologischen Ideen mangelt es dem Autor zwar nicht, aber durch seine sprunghafte Art gelingt es ihm kaum, diese in die Tiefe auszuformulieren. So präsentiert er ein Sammelsurium an Vorschlägen und kommt dabei immer wieder vom eigentlichen Thema ab.

Vision ohne roten Faden

Unklar ist, wer die Zielgruppe für Otterpohls Werk sein soll. Ökos müssen nicht durch zahlreiche verkürzt dargestellte Beispiele aus aller Welt überzeugt werden, mit der Natur und nicht gegen sie zu wirtschaften. Sie wollen vielmehr mit eigenen Projekten starten und erhoffen sich konkrete Hinweise. Viel zu oft bleibt der Autor in seinen Aussagen schwammig à la „man könnte x und y machen“. Das Wie kommt eindeutig zu kurz. Im Gegenzug präsentiert er nebulöse Sätze, wie: „Sehr preiswerte Sanierungstechniken für die vielfältigen Bodenschäden müssen noch entwickelt werden, es gibt aber einige interessante grenzwissenschaftliche Methoden und sehr gute Ansätze mit Pilzen.“ Was der Autor damit meint, bleibt sein Geheimnis.

Ebenso wirft er streitbare Aussagen in den Raum, ohne näher auf sie einzugehen: „Eine chinesische Umweltwissenschaftlerin sagte mir zu elektromagnetischen Feldern vor einigen Jahren am Rande einer Konferenz sinngemäß: ‚Früher wurden durch Mikrowellen Kinder abgetrieben, heute wird damit telefoniert.‘“ Otterpohl führt keine weiteren Belege für diese Behauptung ins Feld und was die Ausführung im Zusammenhang mit seinem neuen Dorf soll, bleibt auch rätselhaft. Als Leiter des Instituts für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Technischen Universität Hamburg ist er als Buchautor erschreckend nachlässig, was Quellenangaben betrifft.

Der fast schon missionarische Eifer zwischen den Zeilen ist der Leidenschaft des Autors geschuldet. Sein Wunsch die Welt in sozialer und ökologischer Sicht zu verbessern ist deutlich ausgeprägt und authentisch.

Verpasste Chance

Mit einer klaren Struktur wäre sein Konzept des neuen Dorfes viel deutlicher und verständlicher im Buch geworden. Würde der Autor mehr konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, anstatt nebulöse Aussagen zu treffen oder sprunghaft die Themen zu wechseln, hätte sein Werk enorm profitiert. Leider hat auch an dieser Stelle das Lektorat des oekom verlags in weiten Teilen versagt.

Was bleibt ist eine starke und wichtige Vision, die in einzelnen Abschnitten immer mal wieder aufblitzt. Allerdings findet sich ähnliche Inspiration auch an anderer Stelle, die 20 Euro für „Das neue Dorf“ muss man nicht ausgeben.

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