Ende November 2019 hielt der Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie, Christian Felber, an der Hochschule Fulda einen Vortrag – auch, um hiesige Unternehmerinnen und Unternehmer von seinem in allen Belangen auf das Gemeinwohl ausgerichteten Wirtschaftsmodell zu überzeugen. Danach wurde es diesbezüglich lange still im Landkreis Fulda. Nun hat sich als regionaler Pionier der antonius Laden auf den Weg zum entsprechenden Zertifikat gemacht. Nächstes Frühjahr soll eine öffentlich einsehbare Bilanz aufzeigen, welche konkreten Effekte der Bio-Laden auf das Gemeinwohl hat oder eben nicht.
Neue Werte für die Wirtschaft zu etablieren ist das Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), dabei geht es im Kern um alte Tugenden wie Vertrauen, Menschenwürde, Solidarität, soziales und ökologisch nachhaltiges Handeln. In diesem Sinne wird derzeit im antonius Laden jeder Stein herumgedreht und die gelebten Beziehungen zu Lieferanten, Eigentümern, Mitarbeitenden, Kunden und dem gesellschaftlichen Umfeld unter die Lupe genommen. „Was läuft in unserem Unternehmen schon gut und was müssen wir noch verbessern? Während des Prozesses hält man sich selbst den Spiegel vor“, sagt Carsten Flynn, Leiter des antonius Ladens. Bewusst hat man sich bei der antonius: gemeinsam begegnen gGmbH entschieden, zunächst ausschließlich mit dem Laden eine überschaubare Betriebseinheit zu zertifizieren. „In einem Pilotprojekt sammeln wir die Erfahrungen, um im zweiten Schritt eine Bilanz möglicherweise auf das gesamte Unternehmen auszuweiten.“
Von Risiken und daraus erwachsenden Chance
„Wir suchen unter anderem nach Risiken und leiten daraus Chancen und konkrete Handlungen ab“, erklärt Ulrike Häußler aus Weinheim, die als externe GWÖ-Beraterin und -Auditorin gemeinsam mit dem Fuldaer Jens Bode den Prozess begleitet. So birgt beispielsweise Schokolade potenziell die Gefahr, dass beim Anbau der Kakaobohnen Kinderarbeit zum Einsatz kommt. Daher listete Flynn zusätzlich Bio-Schokolade von fairafric, die in Ghana produziert wird, somit die komplette Wertschöpfung vor Ort hält und entsprechend transparent ist.
Mit Häußler konnte eine langjährige Expertin gewonnen werden. Ihre Stelle bei einem internationalen Lebensmittelkonzern kündigte sie 2009 und entdeckte wenig später die zart aufkeimende Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie. Gemeinsam mit dessen Initiator Christian Felber hat sie die internationalen Strukturen aufgebaut, sowie die Ausbildung der Berater und Auditoren mitgestaltet. Bode ist erst seit Kurzem in der Bewegung aktiv, bringt jedoch seine Kenntnisse der regionalen Gegebenheiten mit ein. Mitunter mahlen die Mühlen in Osthessen in Sachen Innovationen eben etwas langsamer. „Manche Besucher haben bei Christian Felbers Vortrag vorzeitig den Saal verlassen“, erinnert er sich. Bei anderen – wie bei ihm und Flynn – war das Samenkorn erfolgreich gesät.
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Flynn studierte damals noch an der Hochschule Fulda Public Health Nutrition und befasste sich in seiner Masterarbeit mit der Frage, wie der Lebensmittelhandel unter gesundheitlichen wie ökologischen Perspektiven gestaltet sein sollte: möglichst viele gering verarbeitete pflanzliche Lebensmittel und Vollkornprodukte – tierische Produkte runden das Sortiment ab.
Keimzelle für mehr Gemeinwohl in der Region Fulda
Seit März 2020 leitet er den antonius Laden, die Gemeinwohl-Ökonomie stets im Hinterkopf. Schnell war klar, diesen Schritt zu gehen. „Das passt gut zu uns“, sagt Christian Bayer, Geschäftsführer antonius: gemeinsam begegnen. Auch er begreift den an Arbeitsstunden intensiven Prozess als eine Chance, das eigene Unternehmen zu durchleuchten und eventuelle Aufgaben zu identifizieren. Zudem sei das ökologische und soziale Engagement am Ende mess- und damit konkreter bewertbar, was im besten Fall dann auch Kundschaft anspricht. „In Ballunsgszentren ist das GWÖ-Zertifikat ein Kaufkriterium“, sagt Dr. Uta Anschütz von der Hochschule Fulda. Sie bringt zusätzlich ihre Expertise in der Projektarbeit mit ein und begleitet den Prozess wissenschaftlich. Betreut durch Professorin Dr. Annikka Zurwehme vom Fachbereich Lebensmitteltechnologie verfasst ein Fuldaer Student seine Masterabeit über Gemeinwohl-Ökonomie und widmet sich dabei auch explizit dem Bestreben des antionus Ladens.
Allerdings machte wie bei vielen Vorhaben die Corona-Pandemie zunächst einen Strich durch die Rechnung, in diesem Frühjahr unternahm man einen neuen Anlauf. „Wir machen in der Region Fulda jetzt den Anfang“, freut sich Bode sichtlich. Zwar gibt es bereits bundesweit genügend Erfolgs- und Praxisbeispiele, von einem regionalen Vorbild erhoffen sich alle Beteiligten jedoch mehr lokalen Rückenwind.
Im Frühjahr 2023 möchte der antionus Laden seine Bilanz präsentieren, die seinen Einfluss auf das Gemeinwohl in eine Zahl gießen wird. Viel wichtiger als der ermittelte Wert ist es, soziale wie ökologische Maßnahmen täglich weiter zu schärfen und als Keimzelle zu fungieren. Schließlich werden neben sämtlichen Lieferantenbeziehungen beispielsweise auch der Geldverkehr unter sozialen Kriterien beleuchtet. Regionale Genossenschaftsbanken seien laut Häußler in dieser Hinsicht in der Regel ganz gut aufgestellt. Doch Kultur oder örtliche Sportvereine zu fördern ist nur eine Seite der Medaille, wesentlich ist das Kerngeschäft und die Frage, worin die Bank selbst investiert und wem sie wofür Kredite gewährt. So könnten Gemeinwohl-Ökonomie zertifizierte Unternehmen neben ihren anderen Lieferanten schon bald ihre Bankberater mit der Forderung konfrontieren, das Geschäftsmodell nachhaltiger zu gestalten und auf das Gemeinwohl auszurichten. Alles andere verhagelt die öffentlich einsehbare Bilanz.
Eine gute Idee
Gemeinwohl für Fuldaer ist ist ganz bestimmt mit dem Antonius-Laden gewährleistet