Augen & Ohren

Alle könnten satt werden

Die gute Nachricht vorneweg: Der Welthunger ist mathematisch besiegt. Wir produzieren global genug Lebensmittel, um alle Menschen satt zu bekommen. Dennoch hungern Millionen von ihnen oder sind fehlernährt. Über die Hintergründe und inwieweit die ökologische Landwirtschaft einen Ausweg aus dem Dilemma bieten kann, geht Felix zu Löwenstein in seinem neuen Buch „Es ist genug da. Für alle.“ ein.

Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Im Kampf gegen den Welthunger ist die Ertragssteigerung auf Teufel komm raus oft die Waffe erster Wahl. Man müsse eben noch mehr Lebensmittel herstellen, dann würden auch alle satt werden. Damit einher geht die industrielle Landwirtschaft, die mittels Kunstdünger und Pestiziden der „feindlichen Umwelt“ große Ernten abringen soll. Einerseits verbrauchen wir auf diese Weise unwiederbringlich fossile Ressourcen und auf der anderen Seite schädigen wir das Ökosystem und verlieren wertvolle Ackerböden. Beides können wir uns nicht leisten.

Hunger erzeugt Armut erzeugt Hunger

Neben Kriegen, Naturkatastrophen und mangelhafte Infrastrukturen für Lagerung und Transport ist Armut eine Hauptursache für Hunger. Lebensmittel sind zwar vorhanden, aber unerschwinglich. Felix Löwenstein, Biolandwirt und Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, war mehrere Jahre als Entwicklungshelfer in Haiti tätig. Er selber war dort bestens versorgt. „Dennoch hilft die Nähe zu den betroffenen Menschen zu verstehen, dass die Wirkung von Hunger weit mehr ist als das schmerzhafte Verlangen des Körpers nach Nahrung. Dass er Ausgangs- und Endpunkt fataler Kreisläufe ist: Wer hungert, ist zu schwach, um zu arbeiten – um Felder zu bestellen, Unkraut zu jäten, zu bewässern und so Nahrung zu erzeugen. Oder Geld zu verdienen, mit dem Nahrungsmittel gekauft werden können“, schreibt Löwenstein.

Leidtragende sind vor allem Kleinbauern, die mitunter hoch verschuldet sind, um Dünger, Pestizide oder andere Materialien zu kaufen. Kredite bekommen sie nicht von der Bank, sondern bei Wucherern zu überhöhten Zinsen, als Sicherheit dienen Teile der Ernte. Ein Teufelskreis.

Regionale Wirtschaftskreisläufe zu fairen Bedingungen können die Abwärtsspirale durchbrechen. Mitunter machen hier Lebensmittelspenden als Entwicklungshilfe mehr kaputt als ganz: Während der reiche Westen überspitzt formuliert seine Überschüsse günstig entsorgt und somit die Preise auf dem heimischen Markt stabil hält, haben Bauern und Projekte in den Zielländern das Nachsehen. Dabei leiden sie gerade auf vielen afrikanischen Märkten unter den (hoch) subventionierten Billigimporten aus der EU. Mit den Kampfpreisen können sie nicht konkurrieren und bleiben auf ihren Waren sitzen.

Vielfalt entscheidet für Ernährungssicherheit

Neben regionalen Wirtschaftskreisläufen ist in den Augen von Löwenstein für die Ernährungssicherheit Vielfalt entscheidend: Statt nur wenige Sorten anzubauen oder nur noch wenige Nutztierrassen zu halten, sollte das Risiko eines Ausfalls so breit wie möglich gestreut werden. „Durch die Konzentration der Ackerproduktion auf das, was die Franzosen „Grandes Cultures“ nennen (Weizen, Mais, Gerste, Roggen, Hafer und Reis), hat sich nicht nur die Vielfalt auf den Feldern und in den Gärten der Menschheit und damit die Lebensräume für die Fauna und Flora, die diese Kulturen begleiten, verengt, sondern auch der Speisezettel der Menschen.“ Neben genügend Kalorien am Tag benötigen wir vor allem auch eine ausgewogne Mischung an Nährstoffen. Ansonsten sind wir vielleicht zwar satt, aber im Grunde mangelernährt.

Zudem ist das Ökosystem komplex und etliche Lebewesen und Pflanzen bedingen einander. Monokulturen, wie es die industrielle Landwirtschaft mit Kunstdünger und Pestiziden ermöglicht, sind für ein stabiles Ökosystem denkbar ungeeignet. Auf Dauer laugen die Böden aus, zudem sind Bauern wirtschaftlich von Konzernen abhängig. Besonders, wenn sie so genannte Hybrid-Saaten oder genverändertes Saatgut einsetzen. Dann müssen sie jedes Jahr erneut Saatgut kaufen und können kein eigenes erzeugen.

Gerade beim Thema Biodiversität oder umgangssprachlich „Vielfalt“ bringt Löwenstein die ökologische Landwirtschaft ins Spiel, die mit der Natur arbeitet und nicht gegen sie. Was der Erhalt oder das Steigern von Bodenqualität angeht, gibt es hier bereits zahlreiche Möglichkeiten. Auch Schädlingen muss man nicht zwangsläufig per Chemie vom Acker halten, sondern kann Kräfte der Natur einsetzen: Manche Pflanzenarten „verscheuchen“ Schädlinge, während andere anziehend auf sie wirken, aber auch bei Unkraut gibt es ähnliche Mechanismen. Schädlinge sind in der Regel spezialisiert und befallen daher nur bestimmte Sorten. Im Falle von Monokulturen finden Sie mit dem großen Nahrungsangebot wahre Paradiese vor. Ohne chemische Pflanzenschutzmittel würden sie sich daher vielerorts massiv verbreiten.

Je größer die Vielfalt auf Acker und im Garten, um so häufiger kann zudem geerntet werden. Manche Nutzpflanzen gedeihen sogar gemeinsam mit anderen besser. Eben diese hoch gelobte Vielfalt könne die ökologische Landwirtschaft bieten. Die hier im Vergleich mit dem industriellen Pendant meist niedrigeren Ernteerträge würden ebenfalls ausreichen, um die Menschheit zu ernähren.

Dabei vereinfacht Löwenstein die Dinge jedoch nicht nach dem Motto „alles öko, alles gut.“ Ökolandbau sei deshalb nicht als Zustand, sondern als Weg zu begreifen. Denn vielerorts ist auch er noch abhängig von Konzernen und steht unter hohem Marktdruck, siehe dazu auch den Artikel „Hinter den Kulissen der heilen Bio-Welt“.

es-ist-genug-daDer Weg zur ökologischen Agrarwende…

…ist demnach noch lange, aber viele Schritte sind bereits gemacht. Löwenstein appelliert daher unter anderen an die Verbraucher, ihr Einkaufsverhalten zu überdenken. Zudem sollen vorhandene Forschungsgelder speziell ökologisch wirtschafteten Projekten zufließen.

„Es ist genug da. Für alle.“ liefert einen leicht verständlichen Überblick über die Ernährungssituation der Welt und deren Hintergründe. Besonders anschaulich ist die Spirale der unterschiedlichen Pestizide, die bei der industriellen Landwirtschaft zwangsläufig eingesetzt werden müssen.

Der Autor räumt zudem mit der alten Logik auf, man müsse nur weiter wachsen, um den Hunger zu besiegen. Ähnlich tat er es bereits in einem Interview „Die Zukunft gehört der ökologischen Landwirtschaft“.

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