Worüber sich ein Tierschützer mit dem Geschäftsführer des Fuldaer Schlachthofs oder der konventionelle Landwirt mit einer Wasserschützerin unterhält, konnten gestern die Besucher des 9. Agrar-Kultur-Tag auf dem Fuldaer antonius Hof erfahren. Neben einigen Gegensätzen gab es überraschend viele Gemeinsamkeiten.
Die landwirtschaftliche Revolution beleuchtete Margareta Hartmann, Stadtverordnetenvorsteherin (CDU), in ihrem Grußwort kritisch. Einerseits habe der Fortschritt dazu geführt, mehr Menschen mit weniger Arbeit zu ernähren. „Viele haben aber dadurch den Kontakt zur Natur verloren. Die Industriegesellschaft hat ein erschreckendes Ausmaß beim Gewinnstreben auf Kosten der Natur erreicht – daher ist Achtsamkeit ein zentrales Thema.“ Dieses Motto hatte der antonius Hof für seinen diesjährigen Agrar-Kultur-Tag gewählt. In Sachen ökologischer Landwirtschaft und Tierwohl gäbe es noch viel zu verbessern, merkte Peter Linz, Leiter des antonius Hofs an.
Probleme und Lösungen im Schnelldurchlauf
Eine Podiumsdiskussion dazu kann jeder veranstalten, dachten sich wohl die Planer und schickten stattdessen Landwirte und Experten ins Speed Dating. In drei Gruppen wurden parallel Probleme angesprochen und gemeinsam mit dem Publikum Lösungen vorgeschlagen. Bei allen Gegensätzen gab es genügend inhaltliche Schnittmengen.
Jonas Keller von Fridays for Future brachte sogleich das große Dilemma aufs Tablett: „Unendliches Wachstum ist bei endlichen Ressourcen unmöglich.“ Der konventionelle Landwirt der Domäne Johannesberg, Peter Hallier, brachte ähnliches zur Sprache. Ein großes Problem sieht er im Zwang zur Wirtschaftlichkeit und zum Wachstum. „Noch vor 20 Jahren konnte ein Landwirt seinen Unterhalt mit 80 Kühen bestreiten, heute benötigt er dafür 200 Tiere. Wir Landwirte sollten im internationalen Wettbewerb bestehen können und genau das wird uns heute zum Vorwurf gebracht.“
Sündenbock Landwirt
Hallier fühlt sich als konventioneller Landwirt in der Gesellschaft häufig als Buhmann. Er müsse den Spagat zwischen dem Schutz des Grundwassers vor Nitrat und genügend Dünger auf dem Acker auszubringen bewältigen, um eine gute Ernte einfahren zu können. Insgesamt spürt er eine negative Grundstimmung Landwirten gegenüber. „Welche Rolle soll ich als Landwirt in der Gesellschaft spielen? Wie kann ich Ökologie und Ökonomie verbinden?“ Tatsächlich verhalten sich viele Verbraucher schizophren: Umweltschutz und mehr Tierwohl befürworten sie zwar oder fordern dies sogar vehement, greifen im Supermarkt oder im Discounter aber vorwiegend beim billigen Fleisch zu.
Für Biolandwirt Werner Hartmann liegt ein Teil der Lösung in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU. Fördermittel sollten verstärkt an den Umweltschutz und weniger an die Flächengröße geknüpft werden. Peter Linz gab zu bedenken, dass Folgekosten für Umweltschäden in den Lebensmittelpreisen meist nicht eingerechnet sind. Muss beispielsweise Nitrat aus dem Trinkwasser gefiltert werden, zahlt dafür nicht der Verursacher, sondern jedes Gemeindemitglied über die Wassergebühren. Statt weiterer Gesetze zum Thema Düngen zu erlassen, sprach sich auch Agraringenieurin Birgit Kräling dafür aus, die Fördergelder in Richtung Grundwasserschutz umzuleiten. „Ich möchte kein staatlich finanzierter Landschaftspfleger werden, der von Steuergeldern abhängig ist“, warf Hallier ein.
Artgerechte Tierhaltung, offene Ställe
Berhard Sitzmann von Pro Vieh sprach sich dafür aus, bei der Definition von artgerechter Tierhaltung die Verhaltensbiologie verstärkter zu beachten. Die zentrale Frage: Was braucht das Nutztier, damit seine wesensgemäßen Bedürfnisse befriedigt sind? „Landwirte benötigen höhere Preise für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung.“ Sven Euen, Geschäftsführer des Schlachthofs Fulda, war sich mit Sitzmann einig, dass der Pro-Kopf-Konsum von 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr zu hoch ist. Gemeinsamer Tenor: weniger und dafür qualitativ hochwertiger. „Wir dürfen nicht nur in die weite Welt blicken, sondern müssen Probleme in den Regionen lösen“, sagte Euen. Gerade bei regionalen Wirtschaftskreisläufen sei die Transparenz deutlich höher.
Öko-Landwirtin Andrea Helmer plädierte, dass Landwirte ihre Höfe und Ställe öffnen sollten, um zu zeigen, wie dort gearbeitet wird. „Landwirte machen sich damit aber auch angreifbar“, gab Hallier zu bedenken. „Kaum ein Konsument kennt die dunklen Ställe der Vergangenheit, in denen Rinder angebunden gehalten wurden.“ Daher fehle ein Vergleich und es sei schwer einzuschätzen, welche richtigen Schritte in Sachen artgerechter Tierhaltung bereits gemacht wurden. Der Blick fiele eher auf die heutigen Probleme, Vorwürfe kämen schnell auf. „Vieles ist noch nicht perfekt, aber der Wandel ist ein Prozess.“ Und der geht nun einmal nicht von heute auf morgen vonstatten.
Zum Schluss waren sich bei einigen streitbaren Positionen alle einig: Die Arbeit der Landwirte sollte wieder mehr wertgeschätzt, bereits in der Schule entsprechendes Wissen vermittelt werden und es bedarf einer offenen auf Augenhöhe Kommunikation.
Vieles konnte in der Kürze der Zeit nur angerissen werden. Bleibt abzuwarten, ob die Teilnehmer oder antonius die zahlreichen Gesprächsfäden noch einmal aufnehmen.
Hinweis auf möglichen Interessenskonflikt: Die St. Antonius gGmbH gehört mittlerweile zu meinen Kunden für Öffentlichkeitsarbeit.
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