Als Bernd Burchhardt die elterliche Fleischerei mit ihren zwei Filialen 2006 in Essen übernahm, stellte er den Betrieb ab Tag eins vollständig auf Bio um. Es kam, wie es sein Vater und die komplette Verwandtschaft vorausgesagt hatte: „Im ersten halben Jahr habe ich 70 bis 80 Prozent der Stammkundschaft verloren.“ Wie die Trendwende (auch dank Bio-Weideschwein) gelang, erzählte er Ende Juni auf der Bioschweinetagung vom Aktionsbündnis Bioschweinehalter Deutschland.

Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0
So galt es neue Zielgruppen zu finden, die hochwertiges Fleisch goutieren und dafür gerne tiefer in die Tasche greifen. Ein Alleinstellungsmerkmal sollte her: eine noch höhere Qualität beim Bio-Schweinefleisch. Die Idee des Bio-Weideschweins war geboren, welches ganzjährig im Freiland gehalten wird, wobei vier Mal im Jahr die Fläche zu wechseln ist. Allerdings konnte Burchhardt keinen Landwirt von seinem Vorhaben überzeugen, obwohl er bereit war, einen entsprechenden Mehrpreis zu zahlen. Doch was, wenn er dies nicht durchhält, weil seine Kunden das Fleisch vom Bio-Weideschwein nicht annehmen? Dann haben die Landwirte investiert, ihren einzigen Abnehmer verloren und bleiben auf den höheren Kosten sitzen. Keine Chance.
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Botschaft verstanden: Die sichere und vor allem langfristige Abnahme gilt es zu garantieren. Daher rief der findige Bio-Fleischer 2013 die Burchhardt’s Bio-Initiative ins Leben, mit dem Ziel das Essener Bio-Weideschwein zu etablieren. Mitglieder zahlen monatlich 18 Euro und erhalten dafür auf den gesamten Einkauf einen Rabatt von zehn Prozent. „Die ersten 100 Mitglieder zu finden war schwierig.“ Parallel ging die Suche nach einem landwirtschaftlichen Betrieb weiter, die Mitglieder wurden via Newsletter auf dem Laufenden gehalten. Aber auch die Presse, wie etwa der WDR, war bei vielen Schritten quasi live dabei und berichtete fortlaufend.
Bio-Weideschwein rückt in greifbare Nähe
Die Ausdauer wurde schließlich belohnt, denn 2015 konnte Burchhardt den Hof Vorberg aus Velbert-Neviges überzeugen, der aufgrund seiner kleinen Flächen allerdings nur wenige Bio-Weideschweine halten konnte und kann. „Alle paar Wochen bekamen wir zwei bis drei Schweine. Diese Rarität war den Mitgliedern der Initiative vorbehalten, im ersten Jahr landete nichts in der Bedientheke“, erinnerte sich Burchhardt. In Windeseile sprach es sich herum, dass es bei ihm „dieses besondere Schweinefleisch“ gibt: das Bio-Weideschwein. Die Nachfrage war endgültig geweckt, die Mitgliederzahl wuchs entsprechend, knackte 2019 die Schallmauer von 500 und liegt aktuell bei 740.
Öko-Landwirt Johannes Spronk aus Goch stieß 2018 hinzu, fortan landeten hin und wieder ein bis zwei Tabletts mit „Resten“ – sprich die weniger beliebten Teilstücke – in der Bedientheke. „Selbst das war in maximal zwei Stunden verkauft.“ Nachdem 2020 der nach Bioland-Kriterien wirtschaftende Biohof Frohnenbruch aus Kamp-Lintfort ebenfalls für Burchhardt Bio-Weideschweine hält, ist die Versorgungslage entspannter, so dass auch die Bedientheken regelmäßig bestückt sind. Bis dato sind knapp 2.000 Bio-Schweine den Weg von der Weide auf die Teller der Kundschaft gegangen, aktuell benötigt Burchhardt jährlich 350 Tiere. Seit der Umstellung auf Bio wird generell ausschließlich beim Naturverbund Niederrhein Thönes aus dem nordrhein-westfälischen Wachtendonk geschlachtet.
Auch Misserfolg führte zum Erfolg
Natürlich gab es auch Rückschläge zu verkraften. Eineinhalb Jahre war Burchhardt beispielsweise mit einem Landwirt in der Nähe von Essen im Gespräch. Zunächst untersagten die örtlichen Behörden die Freilandhaltung. Für politischen Rückenwind sorgte Bündnis90/Die Grünen, schließlich gab es – um im Bild zu bleiben – grünes Licht. Dann wollte der Landwirt plötzlich kürzer treten und der Fleischer sollte sich um die Tierhaltung kümmern. Als er sich dieser davon nicht abschrecken ließ, sollte er die Flächen zum dreifachen Preis pachten. Doch dies sprengte die Kalkulation, das Vorhaben wurde an dieser Stelle nicht realisiert.
Da auch dieser Schritt intensiv von der Presse begleitet wurde, führte das etliche Kunden aus der Region in Burchhardts Bio-Fleischerei. „Das sind aufwendige und zeitintensive Vorhaben“, gab er offen zu, aber: „Alle Projekte haben sich im Nachhinein gelohnt.“
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