Meinung

Dem Schnitzel in die Augen geschaut

Kommentar

Discounter und der konventionelle Lebensmittelhandel haben Tierwohl für sich entdeckt, das ist eine gute Nachricht. Wobei sie jedoch ehrlich gesagt, jeweils nur Teilbereiche der Nutztierhaltung verbessern wollen. Dafür ist das Marketing-Getöse um so lauter. Die Palette reicht von den 2019 eingeführten Haltungsstufen der Initiative Tierwohl bis zum Bekenntnis zu 5D beim Schweinefleisch. Hier liegt von der Geburt, Aufzucht bis Verarbeitung die komplette Wertschöpfungskette in Deutschland. Aber echtes Tierwohl garantiert beides nicht. Dann doch lieber gleich Bio-Fleisch?

Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Aldi meint es ernst, bekräftigte Thomas Heinbockel in der ARD-Sendung Panorama. Der Discounter möchte bis 2030 sein Frischfleischsortiment komplett auf die Haltungsstufen 3 und 4 umstellen. Dann hätten alle Tiere die Möglichkeit zum Auslauf oder stammen sogar aus ökologischer Landwirtschaft. Gleichzeitig sagt Heinbockel, wenn auch etwas verklärt durch die Blume, dass am Ende der Preis möglichst billig sein soll. Sprich: Die Landwirtinnen und Landwirte sollen (unterstützt durch Subventionen, also Steuergeld) in teure Tierwohl-Ställe investieren – obwohl angesichts niedriger Schlachtpreise in der Vergangenheit viele Betriebe finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen, manch einer fuhr pro verkauftem Schwein über etliche Monate Verluste ein – und am Ende präsentiert der Handel die Ware wie eh und je so billig wie möglich. Echte Wertschätzung für die Lieferanten klingt anders. „Wenn es beginnend bei der Tiermast keine vernünftige Bezahlung gibt, kann das ganze System nicht funktionieren und wir entwickeln uns nicht weiter“, warnte jüngst Herbert Dohrmann, Präsident Deutscher Fleischer-Verband, beim diesjährigen Frische Forum Fleisch.

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Haltungstufen und 5D: Verloren im Label-Dschungel?

Keine Frage: Auch die konventionelle Landwirtschaft gilt es im Sinne des Klimaschutzes weiter zu ökologisieren. Zudem soll es Nutztieren durch mehr Platz im Stall und Auslauf besser gehen. Für Bäuerinnen und Bauern bedeutet dies einen höheren Aufwand: Ställe müssen für viel Geld umgebaut oder sogar neu errichtet werden, was zum Teil auch durch öffentliche Mittel gefördert wird. Am Ende müssen Schlachthöfe, Verarbeiter, Handel und eben auch die Kundschaft tiefer in die Tasche greifen.

Damit letztere das potenziell tut, muss der Mehrwert auch erkennbar sein. Denn dem Schnitzel in der Fleischtheke oder der abgepackten Salami im Kühlregal sieht man es nicht an, unter welchen Bedingungen die Tiere gelebt haben. Labels wie Haltungsstufen der Initiative Tierwohl oder den Hinweis auf 5D zu nutzen erscheint logisch. Auf letzteres wollen neben Aldi auch die Branchengiganten Lidl und Rewe setzen. Allerdings könne nicht der gesamte deutsche Markt ausschließlich mit 5D-Schweinefleisch versorgt werden. Bereits heute ist die Bundesrepublik auf Importe angewiesen, zudem sollen in der heimischen konventionellen Landwirtschaft insgesamt weniger Tiere gehalten werden. Auf diesen Zielkonflikt wies Dr. Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin Verband der Fleischwirtschaft, auf dem diesjährigen Frische Forum Fleisch hin.

Haltungsstufe 1

Stallhaltung: Entspricht den gesetzlichen Mindeststandards.

Haltungsstufe 2

Stallhaltung Plus: Tiere haben etwas mehr Platz und auch Beschäftigungsmaterial. Kühe dürfen nicht angebunden sein.

Haltungsstufe 3

Außenklima: Tiere haben Kontakt zum Außenklima (offene Stalltüren, Auslauf) und Gentechnik im Futter ist verboten.

Haltungsstufe 4

Premium: Tiere haben tatsächlich Auslauf im Freien, auch hier ist Gentechnik im Futter verboten. Bio-Fleisch würde in diese Kategorie fallen. Wobei bereits der Mindeststandard EU-Bio strenger als Haltungsstufe 4 ist. So muss das Futter nicht nur gentechnikfrei, sondern aus ökologischer Landwirtschaft stammen. Noch weiter gehen die Richtlinien der Bio-Anbauverbände. Nach deren Richtlinien zertifizierte Fleisch- und Wurstwaren bilden eine echte Premiumstufe.

Zudem ist die Aussagekraft von 5D in Sachen Qualität gleich null. Nicht wo ein Betrieb liegt ist entscheidend, sondern die Produktionsbedingungen. Auch die höchste Haltungsstufe 4 entspricht noch nicht einmal dem ökologischen Mindeststandard EU-Bio. Und die Richtlinien der Bio-Anbauverbände sind noch strenger: Hier dürfen Höfe noch weniger Tiere halten – auch, um Gülle-Überschüsse zu vermeiden, die wiederum das Grundwasser belasten können.

Wer als Kunde nicht auf Fleisch und Wurst verzichten möchte und es mit seiner Kaufentscheidung wirklich ernst meint den Wandel in der Agrarwirtschaft zu unterstützen, pfeift auf die neuen Labels des Handels und greift konsequent zur Bio-Ware, am besten von Mitgliedern der Anbauverbände. Die von Teilen der Gesellschaft und des Handels geforderten höheren Qualitäten liefert die ökologische Landwirtschaft bereits seit Jahren. Knackpunkt: Nicht jeder kann sich Bio-Fleisch und -Wurst leisten und hochwertige Lebensmittel sollten nicht nur bei der „Elite“ regelmäßig auf den Teller kommen. Hier einen Ausgleich zu schaffen ist Aufgabe der Sozialpolitik, denn das kann weder die konventionelle, noch die ökologische Landwirtschaft leisten. Fakt ist: Können Landwirtinnen und Landwirte nicht gut von ihrer Arbeit leben, dann bleibt im Zweifelsfall das Tierwohl auf der Strecke.

Auf der anderen Seite kann die heimische Bio-Branche die nachgefragten Mengen an Fleisch- und Wurstwaren gar nicht bereitstellen, was auch nicht das Ziel ist. Die meisten Akteure sind sich einig: Es gilt generell unter ökologischen Gesichtspunkten insgesamt weniger Nutztiere zu halten und den Fleischkonsum auf ein individuelles gesundes Maß zu reduzieren. Klar ist, die gesamte Fleischwirtschaft von der Zucht bis zum Teller lässt sich im laufenden Betrieb nur sukzessive umbauen, was insgesamt nicht ohne Geburtswehen vonstatten gehen wird.

Mehr Tierwohl: Ist Fleisch aus ökologischer Landwirtschaft besser?

Schnelle Antwort: ein klares Jein. Die ökologische Landwirtschaft liefert mit ihren strengsten Richtlinien für die Nutztierhaltung allerdings die besten Voraussetzungen. Die Anzahl der Masttiere ist an die Fläche gebunden. Pro Hektar dürfen EU-Bio-Betriebe 14 Mastschweine halten, Mitglieder von Anbauverbänden wie Bioland, Naturland und Demeter nur zehn. Das Futter ist seit jeher frei von Gentechnik und seit 1. Januar 2022 vollkommen bio. Der Transport zum Schlachthof darf vom Aufladen bis zur Ankunft nur acht Stunden dauern und maximal 200 Kilometer betragen. Daher erleichtern das EU-Bio-Siegel wie auch die Logos der Anbauverbände das Orientieren beim Fleischkauf. Allerdings kommt es wie bei den Haltungsstufen 1 bis 4 vor allem darauf an, wie gesund ein Tier tatsächlich war und wie wesensgemäß es sich verhalten konnte. Ist ein Schwein krank und schwach oder leidet Schmerzen, nutzt der Auslauf im Zweifelsfall wenig bis nichts. Auch die jahrelange einseitige Zucht auf Höchstleistungen und deren gesundheitlichen Folgen für die Tiere bereiten der ökologischen Landwirtschaft Probleme. So stecken Hennen der Lege-Hybride enorm viel Kalzium in die massenhafte Produktion von großen Eiern, was tendenziell die Knochen schwächt. Die Folge: Egal ob bio oder konventionell, ein Großteil der Tiere erleidetet Knochenbrüche im Brustbein, worüber beispielsweise eine dänische Studie und eine schweizer Studie informieren.

Zudem endet Tierwohl nicht am Hoftor. Der Färber-Schlachthof im brandenburgischen Neuruppin hatte nicht nur an der Initiative Tierwohl teilgenommen, sondern war bio-zertifiziert. Anfang letzten Jahres deckte das Deutsche Tierschutzbüro auf, dass Schweine geworfen, getreten und mit Haken blutig geschlagen wurden. Der Standort ist seit letztem Frühjahr geschlossen, die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt immer noch in dem Fall. Mitten drin: Die Biomanufaktur Havelland, Tochterunternehmen der Bio-Supermarktkette Bio Company. Der Bio-Fleischverarbeiter hat zwar bei Bekanntwerden der Missstände augenblicklich reagiert, gewährt bis heute keine umfassende Transparenz, über Wochen blieben sämtliche Presseanfragen unbeantwortet. Damit hat das Unternehmen der Bio-Branche, für die Vertrauen in eine höhere Qualität eine harte Währung darstellt, keinen guten Dienst bewiesen. Der Fall zeigt exemplarisch, dass auch ein Bio-Siegel keine vollständige Garantie für echtes Tierwohl von Anfang bis Ende gewährleisten kann. So bleibt es nicht nur für Fleischesser kompliziert, sondern auch für Vegetarier: Eine Kuh gibt nur Milch, wenn sie ein Kalb zur Welt bringt und Bio-Anbauverbänden verpflichten ihre Mitglieder, die Bruderhähne der Lege-Hybride aufzuziehen. Ohne Fleisch, keine Milch und ohne Fleisch, keine Eier.

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