Bio? Logisch!

Bioland möchte Soziale Landwirtschaft weiter voranbringen

Wer sich mit den beiden Bioland-Fachberaterinnen für Soziale Landwirtschaft Jana Benner (Norddeutschland) und Henrike Thies (Süddeutschland) unterhält merkt schnell, dass beide junge Frauen Bauernhöfe nicht als reine Produktionsstätten, sondern vielmehr als gesellschaftliche Orte verstehen, die vielfältige Begegnungen ermöglichen. Doch wie können Bioland-Betriebe noch bunter werden, indem Menschen mit und ohne Behinderung Hand in Hand arbeiten? Ein Gespräch über Stolpersteine und Chancen der Inklusion.

Gibt es ein in Zahlen gegossenes Inklusionsziel von Bioland wie viele Betriebe bestenfalls Menschen mit Behinderung einbinden?

Henrike Thies: Im vergangen Jahr hat der Verband den Fachausschuss Soziale Landwirtschaft ins Leben gerufen, und Jana Benner und ich sind als Fachberaterinnen hinzugestoßen – zuvor war für letzteres nur eine Person zuständig. Gemeinsam möchten wir das Thema intensiv voranbringen, und auch damit das siebte Bioland-Prinzip „Menschen eine lebenswerte Zukunft sichern“ unter sozialen Gesichtspunkten mit Leben füllen. Ein in Zahlen definiertes Ziel gibt es dabei nicht.

Mit welchen Argumenten möchten Sie Landwirtinnen und Landwirten überzeugen, auf ihren Bioland-Betrieben Menschen mit Behinderung zu beschäftigen?

Henrike Thies: Wir wollen keine Betriebe überzeugen, sondern auf das Thema aufmerksam machen, Interesse wecken und letztendlich Anlaufstelle sein für diejenigen, die diesen Schritt in Betracht ziehen. Für Viele ist allerdings gar nicht klar, was hinter dem Begriff Soziale Landwirtschaft steckt oder verwechseln ihn mit dem Modell der Solidarischen Landwirtschaft. Wir stecken also noch sehr in den Kinderschuhen. Durch unsere Öffentlichkeitsarbeit und Bildungsangebote für Bioland-Betriebe schaffen wir entsprechendes Bewusstsein.

Jana Benner: Bevor ich argumentiere, müssen zunächst entsprechende Voraussetzungen beim jeweiligen Betrieb vorhanden sein. Es ist eine persönliche Entscheidung mit einer großen Spannbreite unterschiedlicher Menschen zusammenarbeiten zu wollen. Wenn dafür grundlegend kein Faible oder Interesse vorhanden ist, bringen auch finanzielle Anreize in Form von Förderprogrammen nichts.

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Was sind entscheidende Kriterien, damit die Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung auf landwirtschaftlichen Betrieben für beide Seiten als befriedigend empfunden wird?

Jana Benner: Es nutzt wenig, wenn Betriebsleiter und Betriebsleiterinnen von Sozialer Landwirtschaft überzeugt sind, aber der Rest des Teams es als unfair empfindet, wenn Arbeitsleistungen unterschiedlich sind. Daher sollten alle Menschen auf dem Hof gemeinsam entscheiden, um möglichst konfliktarm zusammenzuarbeiten. Zudem muss man grundsätzlich offen und flexibel sein, bisherige Arbeitsabläufe gegebenenfalls zu verändern und an die Person anzupassen. Diese Flexibilität und Offenheit können im besten Fall dann dazu führen, dass der Blick auf alle Beschäftigten geschärft wird, wo deren jeweiligen Stärken und Schwächen liegen.

Henrike Thies: Beide Seiten müssen offen sein voneinander und miteinander zu lernen. Die Mitarbeiterin eines Betriebs berichtete, dass sie sofort Rückmeldung bekommt, ob ihre Erklärung gut war. Die Zusammenarbeit muss wie in jedem Fall als ein Prozess verstanden werden, der im besten Fall ein langes, vertrauensvolles Arbeitsverhältnis verspricht.

Gibt es verbindende wirtschaftliche Merkmale von Betrieben, die Soziale Landwirtschaft betreiben?

Henrike Thies: 70 Prozent von ihnen sind auch Direktvermarkter. Das Modell passt tendenziell zu Betrieben, die sich nach außen öffnen, einen direkten Kontakt zur Kundschaft pflegen und Menschen auf ihre Höfe einladen.

Jana Benner: In der Direktvermarktung geht es ja viel um den Aufbau von Vertrauen, und darum sich authentisch zu präsentieren. Eine gelebte Inklusion in allen Arbeitsbereichen kann an dieser Stelle dazu beitragen – natürlich auch mehr als irgendein Label wie „Soziales Engagement“. Trotzdem ist hier immer zu beachten, dass es dabei um kein „social washing“ geht und die Soziale Landwirtschaft nur als Inszenierung für vermeintlich bessere Absatzchancen missbraucht wird.

Soziale Landwirtschaft für Bioland-Betriebe vereinfachen

Wer Menschen mit Behinderung einbinden möchte, braucht auch eine gewisse Ausdauer, um Sozialgesetze, Förderrichtlinien & Co. zu durchblicken. Wie sehr schreckt dies ab?

Henrike Thies: Eine weniger komplexe Förderlandschaft wäre wünschenswert, denn oft ist sie eine große Herausforderung bis echtes Hindernis. Die Denkweise im Sozialen Bereich und damit der Gesetzgebung unterscheidet sich zu dem der Landwirtschaft. Landwirtschaftliche Betriebe erhalten deshalb weniger Einblick in die Sozialförderungen und wissen nicht immer, dass sie dafür in Frage kommen könnten.

antonius baeckerei jens brehl
Eine Woche lang anpacken hieß es für mich (zweiter von rechts) 2015 bei meiner Recherche in der antonius Bäckerei, die nach den Kriterien von Bioland zertifiziert ist und wo Menschen mit und ohne Behinderung Hand in Hand arbeiten.
Bild: Arnulf Müller

Wie lässt sich dies lösen?

Henrike Thies: Wir möchten es für Betriebe möglichst einfach machen, Menschen mit Behinderungen auf dem Hof zu beschäftigen. Daher kooperiert Bioland mit der Sozialgenossenschaft Alma. Die Bioland-Betriebe stellen die landwirtschaftlichen Arbeitsplätze wie eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, die Genossenschaft übernimmt vollständig das bürokratische Abwickeln. Das erleichtert den Arbeitsalltag der Höfe sehr, die das bereits praktizieren. Natürlich sind dabei auch weiterhin pädagogische Fachkräfte eingebunden. Wir möchten noch mehr Bioland-Betriebe für dieses Modell gewinnen.

Menschen, die im Werkstattstatus beschäftigt sind, haben keinen Anspruch auf Mindestlohn, weshalb das System immer wieder in der öffentlichen Kritik steht.

Jana Benner: Die Diskussion greift zu kurz, wenn man nur den Lohn betrachtet. Vergessen wird dabei oftmals, dass in der Regel die Einrichtung die Beiträge für die Rente komplett übernimmt, und bereits nach 20 Jahren können Beschäftigte einen Rentenanspruch haben. Zudem ist es möglich, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu erhalten, noch während man in der Werkstatt beschäftigt ist.

Also liegt der Hauptfokus von Bioland nicht darauf, Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren?

Jana Benner: Es gilt für jeden individuellen Fall das passende Modell zu finden: ob über Werkstatt, Außenarbeitsplatz oder über einen anderen Leistungsanbieter entscheiden die Gegebenheiten vor Ort und die Wünsche und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderung. Alles andere wäre von unserer Seite vermessen, wenn wir Lösungen überstülpen würden, die gar nicht passen. Daher ist es stets ein gemeinsames Ausloten.

Henrike Thies: Wo es um Menschen geht, wird es immer kleinteilig und individuell. Für manche ist die Werkstatt der richtige Ort, für andere nicht.

Als Fachberaterinnen teilen Sie sich ja das Bundesgebiet auf. Gibt es Unterschiede im Norden und Süden in Sachen Inklusion auf landwirtschaftlichen Betrieben?

Henrike Thies, Jana Benner: beide lachen

Henrike Thies: Es wäre schön, wenn sich das hälftig aufteilen würde. Je nach Modell und Träger ist es bereits im nächsten Landkreis anders.

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Soziale Landwirtschaft

Zur Sozialen Landwirtschaft gehören Betriebe, die Menschen mit besonderen Bedürfnissen auf ihrem Betrieb integrieren, beschäftigen oder betreuen. Dazu zählen beispielsweise Menschen mit Behinderung, Suchtkranke, Langzeitarbeitslose oder straffällige Jugendliche. Auch die Öffnung des Betriebes für Kinder oder Senioren im Bereich der Bauernhofpädagogik ist ein Bereich der Sozialen Landwirtschaft. Die Soziale Landwirtschaft trägt dabei zum Gesamteinkommen des Hofes bei.
Quelle: Naturland

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