Hinter der Aussage Bio stecke generell in der Krise machte Thomas Gutberlet, Geschäftsführer des Lebensmitteleinzelhändlers tegut, ein großes Fragezeichen. Die Kundschaft ist sparsamer geworden und greift bei Bio vermehrt zur günstigeren Ware. Der Bio-Anteil ist bei tegut im vergangenen Jahr bei einem stabilen Gesamtumsatz von 1,25 Milliarden Euro um 2,1 Prozent auf 28,4 Prozent gesunken. Aber: „Wir verkaufen immer noch annähernd die gleiche Menge“, sagte Gutberlet in seinem Vortrag im Anschluss an die Mitgliederversammlung der Interessengemeinschaft FÜR gesunde Lebensmittel Anfang Oktober in Fulda. Um Kundschaft „Stück für Stück“ wieder von den Discountern zurückzugewinnen, baut tegut seine Bio-Preiseinstiegsmarke weiter aus und hält gleichzeitig nach hochwertigen Bio-Marken im höheren Preissegment Ausschau.
Keine Frage: Im Bio-Fachhandel und im Lebensmitteleinzelhandel ist es herausfordernder geworden, höherpreisige Produkte aus ökologischer Landwirtschaft zu vermarkten. Daraus eine generelle Krise für Bio abzuleiten, geht Thomas Gutberlet zu weit. Schließlich verzeichnen Discounter und Großhändler in der Außer-Haus-Verpflegung durchaus steigende Nachfragen. Doch auch wenn tegut 2022 weiterhin ungefähr die gleichen Bio-Mengen absetzen konnte, sei es für die Lieferanten ein Unterschied, in welchem Preissegment sie Ware liefern können. Bei der Premiumvariante eines Bio-Müslis bleibt beim Verarbeiter mehr hängen als im Falle der Basisversion. „Wenn Lieferanten immer weniger verdienen, kommt irgendwann der preisliche Druck bei den Landwirtinnen und Landwirten an.“
Bio muss auch günstig
Bis zum Ende des Jahres möchte tegut seine 2020 eingeführte Preiseinstiegsmarke „Bio zum kleinen Preis“ auf 200 Produkte aufstocken, wie Einkaufsleiter Robert Schweininger gegenüber der Lebensmittel Zeitung ankündigte. Der Fokus solle auf der Frische liegen: Obst, Gemüse, Molkereiprodukte und Fleischartikel – und damit auf den Segmenten, wo der Bio-Absatz in letzter Zeit generell Federn gelassen hat. Damit möchte man unter anderem an die Discounter verlorene Kundschaft Stück für Stück zurückgewinnen.
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„Wir brauchen unterschiedliche Preisstufen und es bringt nichts zu verteufeln, dass auch Bio-Produkte günstig sein müssen“, bekräftigte Gutberlet in seinem Vortrag. Es gelte mit niedrigen Preisen die Kundschaft bei Bio zu halten, denn gingen sie für dieses Segment verloren, wäre es deutlich schwerer sie wieder dafür zu begeistern. „Auch die Hersteller benötigen das Volumen, da dürfen wir uns nichts vormachen.“ In den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie schoss die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln in die Höhe, entsprechend hätten Hersteller ihre Kapazitäten aufgestockt.
„Wenn wir bis 2030 einen Anteil von 30 Prozent ökologischen Anbau haben möchten, dann brauchen wir den entsprechenden Absatz“, brachte Gutberlet das Ziel der Bundesregierung zur Sprache und machte im gleichen Atemzug klar: „Ohne die Discounter wird uns keine ökologische Agrarwende gelingen. Dafür müssen weite Teile des Handels Bio-Produkte führen – und das möglichst in hohen Qualitäten.“ Mit letztgenanntem spielte Gutberlet auf die Anbauverbände an, deren Richtlinien in vielen Bereichen deutlich strenger als die gesetzlichen Vorschriften der EU-Öko-Verordnung sind. Daher sei es richtig, dass Bioland mit Lidl und Naturland mit Aldi Süd kooperiert. „Wenn ich möchte, dass der Discount nicht nur in den Preis-Dumping geht, muss er auch hochwertige Qualitäten listen. Das ist die einzige Chance, wie wir den Preis bei Bio halbwegs oben halten.“ Der tegut-Geschäftsführer mahnte an, Gemeinsamkeiten zu suchen und nicht in gutes und schlechtes Bio zu unterscheiden. „Damit würden wir Bio insgesamt beschädigen.“
Für hohe Qualitäten standhaft bleiben
Bei allem Fokus auf günstige Preise und sparsamer Kundschaft gelte es auch ein gewisses Durchhaltevermögen zu bewahren. Selbst im eigenen Haus werde es teils immer schwerer, Einzelne weiterhin für Bio zu begeistern, gab Gutberlet zu. „Plötzlich beginnt man wieder Sachen zu diskutieren, die man vor zehn Jahren entschieden geglaubt hat.“ Ja, die Salatgurke aus Holland ist günstiger als deutsche Ware und man könnte es mit einer Preisaktion „so richtig krachen lassen“. Das ginge jedoch zulasten der deutschen Landwirtinnen und Landwirte, die für tegut seit vielen Jahren Vertragsanbau betreiben.
Der Lebensmittelhändler ist derzeit auf der Suche nach hochwertigen und damit höherpreisigen Bio-Marken, um diesbezügliche Lücken im Sortiment zu füllen. Gutberlet machte klar, dass „spannende Artikel“ beispielsweise mit einer herausragenden Rezeptur oder einem besonders positiven Image des Herstellers im Fokus liegen. Bereits seit Anfang Juni sind ausgewählte Produkte des Naturkostherstellers Rapunzel bei tegut zu finden, die vorher exklusiv dem Bio-Fachhandel vorbehalten waren. Auch das Weinsortiment werde durchleuchtet, um das Bio-Angebot auszubauen. In den Backstationen sollen vermehrt Produkte der zu tegut gehörenden Herzberger Bäckerei Einzug halten.

Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0
Derzeit befindet sich tegut mitten in der Übernahme von 19 Standorten der Bio-Supermarktkette Basic, die Insolvenz anmelden musste. Es sei vorteilhaft gewesen, deren Sortiment analysieren zu können. Zudem liefert tegut bereits Bio-Eigenmarken und erhält damit Einblicke, welche Produkte im Bio-Fachhandel besonders gefragt sind. Mittelfristig sollen die Basic-Märkte in tegut-Filialen mit einem besonders hohen Fokus auf Bio umgebaut werden.
Verkehrswende und Mangel an Fachkräften
Neben der permanenten Arbeit am Sortiment gäbe es Herausforderungen, auf die Gutberlet noch keine endgültigen Antworten liefern konnte. „Wir müssen die gleiche Leistung mit zehn Prozent weniger Menschen stemmen, weil die nicht mehr da sind“, sprach er die schon vor Jahrzehnten vorausgesehenen Folgen des demografischen Wandels an. „Das ist nichts, was die letzten zwei Jahre über uns gekommen ist.“ Wie also die Frischetheke weiterführen, wenn Metzger und Verkaufspersonal rar sind? Man müsse daher weiter an Konzepten wie dem tegut teo arbeiten. Diese rund um die Uhr zugänglichen Mini-Filialen kommen ganz ohne Verkaufspersonal aus.
Auch die Verkehrswende werde ein Umdenken im Handel nach sich ziehen. „Der 5.000 Quadratmeter große Supermarkt vor der Stadt ist ein Kind des Autos. Wenn das nicht mehr da ist, stirbt mittelfristig diese Vertriebsform. Die ist aber nicht nur bei uns der Ertragsbringer. Die großen Flächen sind das finanzielle Rückgrat der Handelsunternehmen“, zeigte er ein Dilemma auf.
Zu guter Letzt gelte es Bio wieder verstärkt im gesellschaftlichen Diskurs zu verankern. So brauche es Verbündete außerhalb der Anbauverbände. „Doch die alten Themen ziehen nicht mehr“, kam Gutberlet zum Schluss. So habe das Thema Gentechnik kein herausragendes Mobilisierungspotenzial mehr bei allen Umweltverbänden.
Herr Jens Brehl,
ich war auch Zuhörer beim IG FÜR…Vortrag von GF Thomas Gutberlet.
Sie haben alles excellent aufgeschrieben und verarbeitet.
Großes Dankeschön sagt
Georg Sedlmaier
http://www.ig-fuer.de
Ein kluger Artikel!
Aber in einem Punkt fehlt mir echt der Glaube:
Dass der Discount und der LEH, der die Methodik nachgeahmt hat, sich „vom Saulus zum Paulus“ wandeln könnte.
Denn das Discount Prinzip der Kalkulation von oben nach unten ist tief in der DNA verankert. 60 Jahre wurde der Einkauf darauf abgerichtet, sich von unten zu holen, was man den Verbrauchern an Marge abgibt. Ich bin sicher, das es bei konsequentem Umsteuern ( wo soll das herkommen?) zwei Generationen braucht um das Preisdrucksystem zu überwinden.
Und dass sofort die „soziale Frage“ aufgeworfen wird, zeigt, dass auch die Politik an das weißglühend Eisen der truecost Rechnung nicht rangeht.
Einziger Lichtblick: das UTP Verbot! Denn bei konsequenter Anwendung ( wo soll die herkommen?) hieße das, den Discount Raubtieren die Fangzähne ausreißen.
Gut – Tegut war vor 40 Jahren auch ein Discounter …