Gibt die Bio-Branche tatsächlich Antworten auf drängende Probleme wie Artensterben und Klimawandel? Zuletzt geriet Bio mehrfach in Kritik. Im Interview spricht Dr. Alexander Beck, geschäftsführender Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller, Erfolge sowie Schwachstellen an und warnt vor zu großer Marktkonzentration. Für eine vollständige ökologische Transformation sei zudem das Produzieren von Bio-Lebensmitteln erst der Anfang.
In der Zeit erschien im letzten November ein viel beachtetes Dossier „Die Bio-Lüge“, welches Schwachstellen der Bio-Branche aufzeigt. Zitiert wird unter anderem Albert Sundrum, Professor für Tierernährung und Tiergesundheit an der Universität Kassel: „Die ökologische Landwirtschaft ist in ihrem Bemühen gescheitert, ein tragfähiges Konzept für die Lösung von zentralen Problemen der Landwirtschaft zu entwickeln.“ Hat er recht?
Dr. Alexander Beck: Pauschal kann ich nicht zustimmen und würde die Aussage trotzt Schwächen und Entwicklungsbedarf in einzelnen Bereichen eher umdrehen. Die ökologische Landwirtschaft hat zunächst gezeigt, dass man ohne Pestizide oder hohen Einsatz von synthetischem Stickstoff hochwertige Lebensmittel produzieren kann. Hinzu kommen noch positive Effekte in Sachen Biodiversität und andere Umweltwirkungen, denn der ökologische Landbau bringt eben nicht die Kollateralschäden der konventionellen Landwirtschaft mit sich.
Als ich vor vierzig Jahren Landwirt gelernt habe, lagen die Erntemengen bei konventionellem Getreide auf dem Niveau, den wir heute mit bio erreichen. Das ist ein riesiger Erfolg, den viele Menschen zu Beginn des ökologischen Landbaus bezweifelt haben. Aber natürlich ist noch Luft nach oben.
Dennoch sind die Erträge in der ökologischen Landwirtschaft im Vergleich mit dem konventionellen Pendant deutlich niedriger.
So lange ein Viertel der genießbaren Lebensmittel aus unterschiedlichen Gründen im Abfall landet oder Ertragssteigerungen in den Futtertrog wandern, brauche ich keine Produktionsschlacht zu führen. Die Agrarwende gelingt nur im Gleichklang mit dem Wandel auf unseren Tellern: Wir müssen deutlich weniger Fleisch, Milch und Eier konsumieren. Die Erträge reichen vollkommen aus, wenn die Flächen für den konventionellen Futtermittelanbau ökologisch bewirtschaftet und die Ernten überwiegend direkt der menschlichen Ernährung dienen würden.
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Professor Sundrum meinte, dass Tiere in der ökologischen Landwirtschaft nicht zwangsläufig gesünder sind.
Hier liegt er mit seiner Kritik teilweise richtig. Kunden wünschen sich mehr Tierwohl und Freilandhaltung, die allerdings mögliche Probleme nach sich zieht, wie beispielsweise Parasiten oder in den Böden befindliche Giftstoffe wie Dioxine, die meist aus Verbrennungsprozessen stammen. Das landet in Spuren wiederum im Ei, wenn Hühner in der freien Natur picken und fressen. Gleiches Spiel in Sachen Rindfleisch aus Mutterkuhhaltung. Daraus kann man den falschen Schluss ziehen, dass Bio nicht besser ist. Dabei sind die Umweltsünden aus der Vergangenheit das Problem. Möchte man Rückstände vollkommen vermeiden, müsste man Tiere konsequent im Stall halten, wo sie ausschließlich kontrolliertes Bio-Futter erhalten – das kann aber nicht die Lösung sein. Es widerspricht dem Tierwohl und den Wünschen der Verbraucher.
Die Anforderungen an Bio-Bäuerinnen und -Bauern sind gewaltig: sich an den Klimawandel anpassen, Artenschwund aufhalten und Biodiversität fördern, Humus für nachhaltig fruchtbare Böden aufbauen und damit auch CO2 binden, Tiere möglichst artgerecht halten und vieles mehr. Was sind die größten Baustellen der ökologischen Landwirtschaft und für die Bio-Verarbeiter?
Bio alleine wird die Welt nicht retten, denn „nur“ Bio-Lebensmittel herzustellen bedeutet noch lange nicht automatisch ein nachhaltiges Unternehmen zu führen. Schließlich kann man bio-zertifizert sein und dennoch jede Menge ökologische Dummheiten begehen: kleinste Chargen per LKW über ganz Europa verteilen, auf Verschwendung beim Verbraucher abzielende Produktstrategien, zu hohe CO2-Emmissionen bei der Produktion, nicht nachhaltige Verpackungen und dergleichen. Das sind ganz effektive Maßnahmen, um jede Öko-Bilanz plattzumachen. Eine der größten Herausforderungen ist eine komplett grüne Logistik.
Also geht es im Grunde darum, mehr aus Bio zu machen.
Unser Verband hat seit jeher nicht alleine die Produktion von Bio-Lebensmitteln im Fokus, sondern das ökologische Unternehmen. Einige unsere Mitglieder haben damals als erste ein Umwelt-Audit durchlaufen, heute EMAS-Zertifizierung: keine Hochglanz-Greenwashing-Broschüren, sondern ernsthaft den eigenen ökologischen Fußabdruck in Sachen CO2-Emmissionen, Energie- und Ressourcenverbrauch messen und kontinuierlich verbessern. Für einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz reicht es auch nicht mehr aus, neutral zu sein, sondern klimapositiv heißt das Stichwort. Das Binden von CO2 kann beispielsweise durch Aufforsten oder dem Aufbau von Humus gelingen. Zudem diskutieren wir intensiv den Weg zur Gemeinwohl-Ökonomie, denn hier werden auch soziale Aspekte wie auskömmliche Löhne, Mitentscheidungsrechte der Belegschaft und dergleichen bewertet und in einer Bilanz veröffentlicht.
Wobei man Endkunden wiederum erklären müsste, was eine EMAS-Zertifizierung bedeutet.
Das ist im Wesentlichen gescheitert, weil man das nicht gut in eine Produktkennzeichnung übersetzen kann. Verbraucher sind jetzt schon teilweise von der Fülle an Logos und Labels überfordert, da sind neue Kennzeichen wenig hilfreich. Ein solches soll beispielsweise im Rahmen des Europäischen Green Deals entstehen, und ökologische hergestellte Produkte ausloben. Auf der anderen Seite gibt es das europäische Bio-Siegel und darüber hinaus in Deutschland noch die der Anbauverbände. Wer soll da am Ende noch durchblicken?
Dann bei Lebensmitteln doch lieber gleich auf das vorhandene Bio-Siegel setzen, welches einen hohen Bekanntheitsgrad hat. Allerdings sagt es nichts über tatsächliche Tiergesundheit, Umweltleistungen oder gar soziale Aspekte aus. Daher müsste man es um diese Kriterien erweitern.
„Der Handel kämpft zu sehr auf der Preisschiene. Für Bio ist das falsch, was ich unseren Kunden wie Alnatura und Dennree auch offen sage. Ursprünglich sind wir angetreten, um die Welt zu verändern.“
Joseph Wilhelm, Mitgründer Rapunzel Naturkost – aus „Für unsere Zukunft“
Nahezu zwei Drittel der in Deutschland gekauften Bio-Lebensmittel gehen im konventionellen Lebensmittelhandel und bei den Discountern über die Ladentheke. Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Kaufland, Lidl) und die Aldi-Gruppe dominieren seit etlichen Jahren den deutschen Lebensmittelmarkt indem sie drei Viertel davon abdecken. Vielerorts herrscht die Marktlogik des günstigsten Preises. Aber auch der Naturkostfachhandel verhandelt mitunter hart, wie Hersteller in Hintergrundgesprächen mit „über bio“ immer wieder berichten. Ob Lebensmitteleinzelhandel, Discounter oder Naturkostfachhandel: Die ökologische Agrarwende voranzubringen spiele in den Einkaufsgesprächen oftmals lediglich eine untergeordnete Rolle, wenn überhaupt. Wie könnte sich Bio von diesen Marktlogiken befreien?
Wenn vier Unternehmen den Großteil des gesamten Lebensmittelmarkts unter sich aufteilen – wovon zwei besonders preisgetrieben agieren – gibt es nur noch einen eingeschränkten Wettbewerb. Die Discounter setzen bei Leitprodukten den Preis, andere Händler ziehen nach. Es wäre eine große Revolution, wenn der Lebensmitteleinzel- und auch der Naturkostfachhandel bei seinen Lieferanten zunächst deren Umweltleistungen und die entsprechenden Zertifikate abfragt und erst im Anschluss über den Preis redet.
Die ersten Bioläden sind auch für einen unabhängigen und vielfältigen Einzelhandel angetreten. Heute dominieren zwei Unternehmen den Fachhandel. Wir müssen aufpassen, nicht den gleichen Konzentrationsfehler des konventionellen Markts zu wiederholen.
Wie konzentriert ist der Naturkostfachhandel?
Mehr als ein Viertel (27 Prozent) aller Naturkostfachgeschäfte gehören den sechs größten Filialisten Dennree (315), Alnatura (142), BioCompany (64), SuperBioMarkt (33), ebl (31) und Basic (25), teilt das Fachmagazin „BioHandel“ mit. Zähle man im Falle von Dennree Kooperationsläden und die 161 von selbstständigen Kaufleuten betriebenen Bio-Markt-Läden hinzu, stünde hinter jedem fünften Naturkostfachhändler die Dennree GmbH.
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, dass 30 Prozent der Agrarflächen bis 2030 ökologisch bewirtschaftet werden. Heute sind es 10,3 Prozent. Im Umkehrschluss muss auch die Nachfrage nach heimischen Bio-Lebensmitteln schnell weiter steigen.
Das Ziel ist gut, birgt jedoch auch Risiken. Schon jetzt haben wir in manchen Bereichen einen Mangel an Rohstoffen, insbesondere Sonnenblumenkerne, Qualitätsweizen und Eiweißfuttermittel wie Sonnenblumenkuchen, Soja, Ackerbohnen und -erbsen. Hinzu kommt: Das Umstellen von landwirtschaftlichen Betrieben dauert mindestens zwei Jahre. Wächst die Nachfrage zu schnell, fürchte ich Skandale mit gefälschter Bio-Ware. Das kann Bio im schlimmsten Fall das Genick brechen.
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